16.02.2012

Erinnerung und Inspiration

Kein BildErinnerung und Inspiration




Zur Prosa russischsprachiger Schriftsteller in Deutschland (1990 – 2011).


In: Mengel, Swetlana; Perchenok-Fadina, Anna; Seidel-Dreffke, Björn (Hrsg.): Russische Gegenwartsliteratur im deutschsprachigen Europa. Materialien zur Konferenz anlässlich des 300-jährigen Geburtsjubiläums von M. W. Lomonossow, Oktober 2011. Halle (Saale), Berlin 2013, S. 53 - 68.


Jener Aspekt russischer Kultur, der einen engen Bezug zu Deutschland hat, verfügt bereits über eine lange Tradition. Im Spannungsfeld der Suche und dem Streben, nach der Bewahrung nationaler Identität und dem Versuch, das Trennende durch Rekurrierung auf allgemein menschliche Werte zu überwinden, wurden auch immer wieder Schriftsteller produktiv, schöpften aus dieser Spannung ihre Inspiration und Themengestaltung.
In diesem Zusammenhang wurden auch häufig philosophische Fragestellungen erörtert, die einen Brückenschlag aus der fernen Vergangenheit in eine antizipierte Zukunft umfassten. Seit dem Ende der Sowjetunion und dem Ende der DDR hat sich eine (von der breiten Öffentlichkeit leider bis jetzt immer noch weitgehend unbemerkte) neue Ausprägung dieses kulturellen Austauschs vollzogen. Zahlreiche russischsprachige Intellektuelle haben für eine bestimmte Zeit oder für immer Russland gen Deutschland verlassen und hierzulande ein neues Wirkungsfeld gefunden.

Ich gehe hier nicht auf Autoren ein, die sich in gewissem Sinne bereits als „deutsche Schriftsteller“ betrachten und hierzulande dann auch nur noch deutsch schreiben. Ich denke, dass Sprache als „Ausdrucksmittel“ immer auch identitäts- und kulturstiftend ist. Sondern es geht um in Deutschland ansässige, vornehmlich russisch schreibende Autoren. Ich persönlich erblicke darin einen neuen Höhepunkt der Befruchtung der deutschen Kultur und Gesellschaft durch eben die russische.

Umso bedauerlicher, dass dieses breite und neue Forschungsfeld bisher sehr wenige Wissenschaftler gefunden hat, die sich seiner annehmen. Zwar liegen inzwischen verschiedentlich Einzeluntersuchungen vor, aber das Bewusstsein für die Bedeutung dieses Forschungsgegenstandes wird noch bei weitem nicht durch universitäre Forschungen entsprochen.[1]

Umso begrüßenswerter, die vom russischen PEN-Club unter maßgeblicher Federführung von ANNA FADINA und VADIM FADIN durchgeführte Konferenz, denen an dieser Stelle auch mein ganz persönlicher Dank gilt.
Denn so wurde hier ein Ort geschaffen, in dem eine Reflektion über diesen für die russische wie deutsche Kulturlandschaft gleichermaßen wichtigen Aspekt möglich ist.
Und da es hier um „Orte“ geht, sei zu Beginn meines Vortrages wenigstens darauf verwiesen, dass sich solche „Orte“ nun zunehmend bilden, wo ein Austausch und eine gegenseitige Inspiration der Autoren möglich sind. Und damit wird an die Tradition der literarischen Salons angeknüpft, die an sich auf eine lange Geschichte zurückblicken kann, und die eine bedeutende Rolle vor allem für russische Künstler und Schriftsteller spielten, die aus der Sowjetunion emigrieren mussten, um sich ihre künstlerische Freiheit zu bewahren. Und genau an diese Tradition knüpft der literarische Salon der Fadins an. Hier traten und treten bedeutende russischen Autoren auf, die ihre Texte vorstellen und sich von der gegenseitigen inspirierenden Kritik des Salons befruchten lassen. Von diesem Salon gingen auch Inspirationen für die kulturelle Öffentlichkeit beeinflussenden Veranstaltungen aus, so nahmen die Puschkin-Lesungen hier ihren Anfang. Von den namhaften Autoren, die den Salon der Fadins besuchten, seien wenigstens einige genannt: SERGEJ GLADKICH, BORIS ZAMJATIN, BORIS ROCHLIN, BORIS SHAPIRO, ANDREJ BITOV, TATJANA NELJUBINA, VIKTOR JEROFEJEW, VJATSCHESLAV KUPREJANOV, LJUDMILLA ULICKAJA, BORIS CHAZANOV, SEGEJ BIRJUKOW, VERA PAVLOVA u. a.
Es gibt in Berlin und deutschlandweit noch weitere Vereinigungen russischer und russlanddeutscher Autoren, es werden Almanache, Zeitungen und Zeitschriften herausgegeben.[2] 
Die Zahl der Autoren ist beeindruckend und hat natürlich die Auswahl reichlich erschwert. Ich habe mich letztendlich für einen, wie ich hoffe, einigermaßen repräsentativen Autorenkorpus entschieden. Mein Beitrag wird in erster Linie eine „Annäherung“ bzw. ein „Ausschnitt“ sein.

Ich möchte dabei einen Aspekt in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, der sich wie ein roter Faden durch die meisten Publikationen zieht und den man unter dem Terminus „Erinnerungen“ subsumieren kann.
Egal was beschrieben wird, ob die derzeitigen Befindlichkeiten reflektiert werden, ob über Geschichte sinniert, Familienbeziehungen erörtert oder Naturbeschreibungen dargeboten werden, auffällig ist, dass in sehr vielen Fällen an bestimmten Stellen diese distanzierte Objektivität kippt und einer subjektiven, vor allem aus „Erinnerten“ gespeisten Betrachtungsweise Platz macht.
Und damit trifft diese russische Literatur in Deutschland einen bestimmten Zeitgeist, nimmt ihn gar vorweg und bereichert ihn mit neuen Nuancen. Auf eine wichtige wissenschaftliche Arbeit, die dieser Entwicklung Rechnung trägt, sei an dieser Stelle verwiesen: Ulrike Lange: Erinnerung in den metafiktionalen Werken von Boris Chazanov und Jurij Gal’perin. Verfahren zur Konstruktion von Realität, Identität und Text.[3] 
Lange stellt fest, dass tatsächlich das „Sich-Erinnern“, das Entstehen einer sogenannten „Erinnerungskultur zum zentralen Aspekt“ gegenwärtiger kultureller Reflektion auf unterschiedlichen Gebieten geworden ist.
„Die Erkenntnis, dass das Erinnern die grundlegende Tätigkeit der menschlichen Identitäts- und Realitätskonstruktion ist, spiegelt sich in dem großen Interesse wieder, das derzeit von den unterschiedlichsten Disziplinen den Themen Erinnerung und Gedächtnis entgegen gebracht wird. In der Literatur wird Erinnerung seit jeher nicht nur in der Gattung der Autobiografie als literarisches Verfahren eingesetzt.“[4]
Erinnerung kann in diesem Sinne ganz subjektive Erinnerung sein, das ganz persönliche Erlebnis, die Erfahrungen, durch die unterschiedlichen Begebenheiten reflektiert werden. Diesen subjektiven Aspekt konnte ich im Schaffen der von mir analysierten Autoren mannigfach ausgeprägt finden und er hatte hier vor allem jene psychologischen Funktionen inne, die Ulrike Lange wie folgt umschreibt:
„... ist Erinnerung das psychologische Verfahren mit dem das Ich seine Identität und Welt zu erschaffen und zu ergründen sucht. Hier lässt sich an unterschiedliche Funktionen der Erinnerung im psychologischen Geschehen denken: Verarbeitung der Vergangenheit, Standortbestimmung und Selbsterkenntnis, Trauerarbeit und Bewahrung des Vergangenen im Gedächtnis bis hin zu (selbst) therapeutischen Versuchen, verdrängte Erinnerung aufzuspüren.“[5]
Dies wurde so auch oft in den Werken der russischen Prosaautoren in Deutschland vollzogen, die oft einen stark biografischen Bezug haben.
Erinnerung findet aber auch statt in Form einer „Historisierung“. Nicht die eigene Erinnerung, sondern die Erinnerung des „kollektiven Gedächtnisses“ antizipiert (im Sinne der Konstanzer Schule um Renate Lachmann), so kann ein neuzeitlicher Text mit historischen, gar antiken Gestalten bestückt sein. Und selbst in weit entfernte Zukunft schauende Science Fiction Texte, haben einen „Kippeffet“ in Bezug auf ihre Reflektion der Vergangenheit.
Wie sich all das in den Texten der russischsprachigen in Deutschland lebenden Prosaautoren spiegelt, soll nun im Folgenden analysiert werden.

1. Autobiografisch orientierte Erinnerungen

Als Beispiel autobiografisch gefärbter Erinnerungen kann man VADIM FADIN (Jahrgang 1936 / Moskau) nennen. Vadim Fadin ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs, des Verbandes Moskauer Schriftsteller und des Verbandes Deutscher Schriftsteller. Er begann seinen schöpferischen Werdegang vor allem als Poet[6], wurde auch für seine Übersetzungen italienischer und estnischer Bücher bekannt. Seine Bücher wurden in Russland, den USA, Israel und Deutschland publiziert. In den 2000er Jahren, schon nach längerer Übersiedelung nach Deutschland, schrieb er seine Romane, die internationale Beachtung fanden: „Das Heulen der Hirten“ (Rydanie pastuchov“; 2004); „Sieben Bettler unter einer Bettdecke“ (Semereo nischich pod odnim odealom“; 2005) Ich möchte etwas näher auf seinen jüngst publizierten Roman „Schnee zu verkaufen im Süden“ („Sneg dlja prodaschi na juge“; 2010) eingehen, da hier sich in besonderer Weise „Erinnerungen“ manifestieren.
Obwohl dieser Roman nicht explizit „autobiografisch“ angelegt ist (keine Ich-Erzählung) so führt uns doch das Geschehen in einen Bereich, wo der Autor sich gut auskennt, da dieser schon mit eigenen Lebenserfahrungen übereinstimmt. Die Handlung vollzieht sich vor allem auf einen Raketenstützpunkt in den 1960er Jahren, wo junge Ingenieure Versuche mit Raketen machen. Eingedenk der Tatsache, dass der Autor, Vadim Fadin von 1953 – 1959 an der Hochschule für Flugzeugbau studierte und lange Jahre seines Lebens eben in diesem Bereich tätig war, lassen schon auf einen autobiografischen Bezug schließen. Die „Zustände“ auf dem Übungsgelände werden detailliert beschrieben, die aneinander gereihten Baracken, das harte Leben, auch die „Unfälle“, die so nie in der offiziellen Presse abgebildet wurden. Dennoch ist diese Beschreibung keine „platte Abrechnung“ mit dem Sowjetsystem, wie wir sie leider im Voraus eilenden Gehorsam neuen Zeiten gegenüber heute bei allzu gern sich der neuen Zeit anpassenden Autoren finden. Nein, Vadim Fadin ist in der Lage, differenziert zu gestalten, auch das Positive von Kameradschaftlichkeit und Solidarität der jungen Menschen untereinander, die nicht nur Farce sind, sondern gelebtes Leben. Das Interessante an Fadins Roman ist, dass die so gestalteten Erinnerungen auch aus dem Grund einen besonderen Wert haben, dass er einer der wenigen ist, die überhaupt in einem solchen Bereich arbeiteten und nun auch noch darüber schreiben. Denn diese Darstellungen lassen sich so in keinen anderen Dokumenten finden, da die Arbeit auch zu ihrer Zeit einer gewissen Geheimhaltungsstufe unterlag. Auch der Autor selbst musste damals über seine Arbeit schweigen, über die im Wesentlichen nur Legenden verbreitet wurden. Und auch seine Kameraden schweigen teilweise bis heute, da immer noch nicht klar ist, was man erinnern darf und was vielleicht sogar heute verboten ist. Aber der Autor wagt sich schließlich zu „erinnern“ und diese Erinnerungen in seinem Roman zu verarbeiten.
Sie sind so ein wichtiges, persönliches Korrektiv des russischen kollektiven Gedächtnisses, dass entweder gerne aus der Sowjetzeit nur das „Heroische“ bewahrt oder alles nur unter einem negativen Blickwinkel betrachtet. Damit erlangt dieser Roman einen zeitlosen Wert.
Und man kann dem Autor selbst zustimmen, der im Vorwort zu seinem Roman schreibt:
„Schließlich wird nur, wie Vladimir Dal’ schreibt, das Bewusstsein der Vergangenheit erhalten.“[7]

Auf persönlichen Erfahrungen / Erinnerungen, wenn auch auf andere Weise, beruhen auch die Werke von BORIS CHAZANOV.
Auch Chazanovs Werke sind inzwischen international bekannt und die wichtigsten Romane wurden bereits in die deutsche Sprache übertragen. Zu nennen wären: „Antivremja. Moskovskij roman“ „(Gegenzeit. Ein Moskauer Roman“; 1991); „Nagl’far v okeane vremen“ („Unten ist Himmel“; 1993); „Chronika N. Zapiski nezakonnogo celoveka“ („Der Zauberlehrer“; 1995); „Dalekoe zrelische lesov“ („Das ferne Schauen der Wälder“; 2001).[8]
In diesen Werken Chazanovs spielt die erinnerte Konstruktion der Vergangenheit eine zentrale Rolle, Er verwendet zum Beispiel den Modus der Chronik bewusst und bedient sich so nicht nur des Gattungsvorbilds der russischen Chronik, sondern nutzt auch die Geschichtsschreibung zur Rekonstruktion der Vergangenheit. Doch diese „Vergangenheit“ ist in Chazanovs Romanen nichts Eindeutiges, was sich leicht und unfehlbar erfassen lässt.
Die Ich-Erzähler erinnern sich nicht aus einer festen Lebensperspektive heraus an das Vergangene, sondern sie versuchen, quasi die Vergangenheit auf verschiedene Weise zu rekonstruieren, wobei dieselben Fakten und deren Wertung ganz unterschiedlich miteinander verbunden werden können. Den „Haupthelden“ geht es vor allem darum, eine gewisse eigene Identität aus der Vergangenheit zu rekonstruieren und einen Lebenssinn zu finden, und quasi erst im gestalteten Text findet eine Art „Sinngebung“ der Vergangenheit statt.
Dieser Aspekt ist umso interessanter, da ich denke, hier auch ein typisches Beispiel für die aus der Erinnerung geborene Inspiration zu haben und auch einen wichtigen Grund für das Bedürfnis, sich schriftlich zu artikulieren. Die schriftliche Artikulation ermöglicht das Bewahren (der verlorenen Heimat etwa) und auch das Auffinden des „roten Fadens“ eines durch existenzielle Brüche (z. B. Verlassen der Heimat) gekennzeichneten Lebens. Und damit werden Chazanovs Werke beispielgebend für eine ganze Generation.

Anders gefärbt und aufgearbeitet schlagen sich Erinnerungen in den Werken von BORIS ROCHLIN (geb. 22. Oktober 1942 in der UdSSR / Baschkirien) nieder. Nicht direkt als „Erinnerungsprosa konzipiert“ rekurriert aber auch ihr Ansatz auf diese Problematik.
Der Autor war nach Studienabschluss der Leningrader Universität vor allem als Übersetzer tätig. Erste Schreibversuche erfolgten in den 1960er Jahren, erste Publikationen in den 1980er Jahren. Rochlin ist Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller. Seine Werke wurden in Russland, Deutschland und Israel veröffentlicht.
Internationalen Ruhm erlangten seine in zwei Sammelbänden zusammengefassten Erzählungen: „Prevratnye rasskazy“ (Verkehrte Erzählungen“; 1995); „U sten Malapagi“ („An den Wänden von Malapaga“; 2009).
Seine Haupthelden sind vielfach die „einfachen“ Menschen der 1960er/1970er Jahre. Aber eigentlich sind es „seine“ Erinnerungen, die hier in Form gegossen werden, wenn auch anhand verschiedener „fiktionaler Protagonisten“. So reflektiert zum Beispiel ein alter, lahmer und trinkender Wächter über sein vergangenes Leben. Doch auch noch weiter geht Rochlin zuweilen in die Vergangenheit zurück. Er lässt zum Beispiel in seinem Erzähl-Essay „Der Zweifel des Diogenes“ diesen ein Fazit über die seiner Meinung nach zweitausendjährige erfolglos verlaufende Geschichte des menschlichen Experiments im Reich des Verstandes ziehen. Damit nimmt er die von mir eingangs erwähnte Historisierung mit Rekurrierung auf das „kollektive Gedächtnis der Menschheit“ vor.
Und hier also bei Rochlin ein weiterer Ansatz, der sich von den eingangs beschriebenen und den folgenden Autoren unterscheidet. Weder will der Autor seine eigene Identität finden, noch bisher nicht Erinnertes fassbar machen, sondern ihm geht es darum, in all diesen „Erinnerungen“ der einzelnen Helden das Thema der aus seiner Sicht „Unveränderlichkeit des Seins“ herauszuarbeiten. Aus einer distanzierten Perspektive wird nicht das stets Neue bzw. der Wechsel im Leben des Einzelnen oder der Gesellschaft herausgearbeitet, sondern das, was immer so war und noch so ist, das Verbindende.
Wie es der Rezensent in der „Literaturnaja gazeta“ (A. Arjev) formuliert:
„Wenn Diogenes seine Suche heute beginnen würde, wäre das Resultat dasselbe, den Menschen gibt es immer noch nicht und Troja brennt.“[9] 
Man kann daher die Weltbetrachtung der Protagonisten Rochlins in gewisser Weise als „optimistischen Fatalismus“ bezeichnen. Alles dreht sich quasi im Kreise, aber irgendwann könnte es eventuell besser werden.
Erinnerung wird so auch in gewisser Weise zur philosophischen Kategorie, die das Sein aus einer fatalistischen Perspektive sieht, aber auch zugleich zu einer emotionalen Angelegenheit, die damit eine auch für den Leser nachvollziehbare Stimmung der Melancholie erzeugt.

Ganz stark auf „Erinnerung“ ausgerichtet ist auch das Schaffen von V. I. PRUDOMINSKIJ: „Odinokaja ptica na krovle“ („Der einsame Vogel auf dem Dach“; 2009).[10] Erdachtes und dokumentarische Authentizität verbinden sich in den Berichten des alten Schriftstellers. Seiten, die Vergangenes beschreiben, aber auch Seiten, die die Gegenwart zum Gegenstand haben, Erlebtes und Erdachtes, bilden in ihrem gegenseitigen Durchdringen eine neue Einheitlichkeit. Der Autor selbst hat ein langes Leben durchlebt und reflektiert darüber, über seine Jugend, sein Alter, seine besondere Erfahrung mit der Liebe und auch mit dem Erwarten jenes Unbekannten, was mit dem Tode über ihn kommen könnte.
Es findet dabei ein ständiger, die gesamte Erzählsituation aber umso spannend machender Wechsel zwischen „Jetzt“ und „Damals“ statt, woran schon allein die Kapitelüberschriften erinnern, z. B. „Jetzt und vor zwei Jahren“; „Vor dreiunddreißig Jahren“.
Und nicht von ungefähr bringt er auch Zitate aus der religiösen Literatur ein – zum Beispiel aus einem Psalm (dessen Teil dann auch zum Buchtitel wird):
„Ich liege wach und ich klage wie ein einsamer Vogel auf dem Dach.“[11] 
Das eigene Leben wird so auch an der Ewigkeit gemessen, wobei eben bewusst mit Zeugen aus religionsphilosophischer Literatur Ansätze für dieses Erfassen des „Ewigen“ gesucht werden.

Wieder einen anderen, aber auch für zahlreiche russischsprachige, nach Deutschland emigrierte Schriftsteller typischen Ansatz der Art der „Erinnerung“ bringt JOHANN KEIB (geb. 1948) in seinen Werken zum Ausdruck.
Johann Keib, der in Russland vor allem als Theaterregisseur tätig war, begann seine mit den Jahren immer intensiver werdende Schreibtätigkeit erst nach seiner Übersiedelung nach Deutschland. Er ist der Vorsitzende des „Berliner Literaturkreises der Deutschen aus Russland“ und auch Regisseur eines Kabaretts der Russlanddeutschen. Er schreibt Prosa und Gedichte. Schreibt teilweise deutsch, teilweise russisch, einige Werke liegen in deutscher Übersetzung vor. Für mein Thema der Erinnerungsliteratur wichtig sind zu nennen: „Historische Anekdoten über die großen Landsmänner“ (2010) sowie zwei Roman-Essays: „Die nicht begangenen Sünden“; „Die Stiefmutter“.
Gerade diese beiden letzten Arbeiten weisen auf einen Umgang mit Vergangenheit und Erinnerungen hin, der für viele in Deutschland lebende Autoren immer zentraler wird. Und zwar ist es das Bestreben, das eigene Schicksal nicht nur mit gesellschaftlichen Prozessen oder historischen Entwicklungen zu verbinden, sondern in die Tradition der eigenen Familie einzuordnen. Familie ist hier eine konkret historische, aber auch zeitlose Kategorie, an deren Schicksal sich auch Zeitgeschichte ablesen und eigenes Dasein reflektieren lässt.
Übrigens wird die eigene Familiengeschichte nicht nur im Schaffen von Migrationsautoren immer wichtiger. Als „Seitenblick“ sei gestattet auf die in ihrer Art eigen- aber auch einzigartige Biografie des bekannten deutschen Schlagersängers Udo Jürgens zu verweisen, der sich nicht selbst als „Ikone“ feiern will, sondern im Gegenteil sein eigenes Werden nicht unabhängig von seiner Familie betrachten möchte. Und interessant auch hier, der Russland-Bezug, da seine Großeltern nach Moskau ausgewandert waren. Russland also „allgegenwärtig“ sogar in den Erinnerungen deutscher Medienstars.[12]

2. Erinnerungsliteratur als Teil des „Kollektiven Gedächtnisses“

TATJANA NELJUBINA (geboren 1951 in Sverdlovsk, Jekaterinburg) hat zwei Studien abgeschlossen, eines der Architektur und eines der Philosophie. Sie lebt schon seit 1983 in Deutschland (Potsdam). Seit 1987 ist sie als freischaffende Grafikerin für den Berliner Verlag, Verlag Volk und Welt und den Kinderbuchverlag tätig und trat 2002 erstmals als Romanautorin in Erscheinung. Bisher sind drei ihrer Romane erschienen, der 4. Roman soll 2012 herauskommen.
Ich möchte genauer auf den das von mir besprochene Thema tangierenden Roman eingehen: „Orakul v podole“ („Das Orakel im Rockschoß“, 2002).[13]
Wir haben es hier mit einer bestimmten Art der Erinnerungskultur zu tun, die eben in bestimmter Weise an das kollektive Gedächtnis anknüpft.
Neljubina hat eine sehr satirische Ader, was ihre Werke nochmals zu besonderen macht, denn meistens überwiegt im Hinblick auf Erinnerungen bei den Autoren ein bestimmtes Pathos. Sie beweist ein feines Gespür für das Groteske und das Absurde. Dabei verschmilzt sie Erinnerungen an die Zeit des Sozialismus mit antiken Mythen. Es handelt sich dabei nicht um ein „Erinnern“ sozusagen „nach vorn“, um Gegenwart zu erklären oder Zukünftiges zu antizipieren, sondern um eine „Erinnerung“ „nach hinten“, die über das kurz Vergangene in das ganz „ferne Vergangene“ verweist.
So streiten zum Beispiel die antiken Musen über die Parteilichkeit der Kunst, es geht um mafiose Machenschaften im Hermessismus, um den Ablauf von Versammlungen, die sehr an die „sozialistischen“ gemahnen, aber in die athenische Gesellschaft versetzt werden. Die menschlichen, allzumenschlichen Götter steigen vom Goldenen zum Eisernen (Atomaren) Zeitalter hinab.
Diese Vermischung von zwei „Vergangenheiten“ bringt eine originelle Betrachtung hervor, wie man „Geschichte“ durch die Brille des kollektiven Gedächtnisses gebrochen widerspiegeln kann.

Auch auf die Geschichte als „kollektives Gedächtnis“ abzielend, sind die Werke von BORIS FALKOV ausgerichtet. An dieser Stelle möchte ich besonders auf seinen 2007 erschienenen Sammelband „Novelly“ („Novellen“) eingehen.[14]
Der erste Teil des insgesamt drei thematische Teile umfassenden Werkes ist überschrieben mit „1. Inye vremena. 10 staromodnych rasskazov“, Erzählungen, die eine Brücke aus der Vergangenheit in die Zukunft schlagen. Von der Geschichte des ermordeten Zaren Pawel angefangen bis in die Sowjetzeiten zur „Aeroflot“.
Ähnlich wie Neljubina aus der Vergangenheit in die noch entferntere Vergangenheit schlägt der dritte Teil des Sammelbandes seine Brücke. Dieser Teil ist, obwohl alle Erzählungen in russischer Sprache verfasst sind, sogar mit einer englischen Überschrift versehen: „3. A Table of greater woe“ (Erzählung über noch größeren Kummer).
Hier mischen sich in das alltägliche Leben der Haupthelden auch wiederum antike Persönlichkeiten ein, es treten also u. a. auf: Diogenes, Hetäre, Alexander der Große. Es werden hier auch verschiedene Stilebenen miteinander verknüpft, das Antike mit besonderem stilistischen Pathos nachempfunden und bildet damit einen Kontrast zur „Alltagssprache“ der anderen Protagonisten.
Durch Bezug auf die englische Sprache soll wahrscheinlich das „kollektive“ Gedächtnis eine bewusste Erweiterung erfahren.
Eine interessante Überleitung zu einem weiteren Aspekt unter dem „Erinnerung“ in den Werken der von mir betrachteten Autoren antizipiert wurde, betrifft den Mittelteil der Sammlung unter der Überschrift „2. Papirfaks i drugie nedoskazannye istorii“ (das Papierfax und andere nicht zu Ende erzählte Geschichten). Darin wurde eine Erzählung wie folgt überschrieben: „Nevskij prospekt“. Obwohl das Geschehen in die Neuzeit übertragen wurde, erinnert diese doch sehr deutlich an Gogol’s gleichnamige Erzählung, lässt sich ein deutlicher intertextueller Bezug herstellen.
Und hier kommt ein weiterer Aspekt, unter welchem Erinnerungen fungieren, zum Tragen.

3. Erinnerung als Erinnern an einen Text

Es wird nicht konkret Erlebtes oder Geschichte erinnert, sondern Geschriebenes, das Lektüreerlebnis. Da „Lesen“, Lektüre in Russland bis in die heutige Zeit einen sehr hohen Stellenwert hat, wird so das Erinnern an Gelesenes auch wiederum zu einem Akt des kulturellen Gedächtnisses, zu einer besonderen Art des „Bewahrens“.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf das schon vom Titel her sehr originelle Buch von E. GRIŠKOVEC „A…..a. Povest“ (A…..a. Eine Erzählung; 2010) eingehen.
An sich ist es als ein Buch über „Amerika“ geplant, über die Mythen und Vorstellungen über Amerika. Über den Nachhall irgendeines „realen“ Amerikas, aber eben auch des „erdachten Amerikas“. Und im Vorwort selbst aber bringt der Autor, der selbst noch nie in Amerika gewesen ist, sein eigentliches Anliegen zum Ausdruck, nämlich an sich einen Text über „Texte“ zu schreiben, und nicht nur einfach über gelesene Texte, sondern über „erinnerte Texte“.
Es werden auch nicht etwa das reale Amerika und das reale Russland (bzw. die ehemalige Sowjetunion) einander gegenüber gestellt, sondern, die aus Texten erinnerte Geschichte. Überhaupt fungiert vor allem der Text als Erinnerungshort, was auch die Möglichkeit zu teilweise satirischen Übersetzungen gibt. So reflektiert der Autor über die Haupthelden der sowjetischen Gegenwartsliteratur:
„… die Haupthelden haben auch nicht mal an Geld gedacht und konnten auch nicht daran denken, denn sonst wären sie keine Haupthelden mehr gewesen. Es waren die zweitrangigen Helden, die ans Geld dachten. Die zweitrangigen, die unsympathischen. Obwohl auch sie darunter litten, dass das Geld sie unablässig zu Gemeinheiten und Niedrigkeiten verführte …
Und diese Haupthelden suchten sich zermarternd ihren Platz in der Gesellschaft, stellten sich schmerzhaft-komplizierten Fragen, die meistens ohne Antwort blieben, waren übermenschlich stark verliebt, quälten sich und andere.“[15]
Und so werden literarische Erinnerungen einander gegenübergestellt, auf besondere Weise durch das Bewusstsein des Autors gebrochen, gehen damit auch über einfache intertextuelle Bezüge hinaus und generieren meiner Meinung nach ein neues, originelles Genre von Erinnerungsliteratur. Die Realität wird aufgefüllt durch einen Text und ist dadurch variantenreicher als das eigentliche Sein. Und im Prinzip geradezu „genial“ setzt dies der Autor ja auch schon im Buchtitel um: „A…..a“. Die fünf Pünktchen zwischen den beiden As sind an sich mit allen möglichen Buchstaben, Textstellen aufzufüllen.

Ein weiteres Beispiel für den „Text als Erinnerung“ finden wir im Werk von FRIDRICH NAUMOVIČ GORENŠTEJN (1932 – 2002) vor.
Der Autor wurde sowohl selbst zum Gegenstand von Erinnerungen, schrieb aber kurz vor seinem Tode auch noch ein Buch über das Erinnern an Bücher, also haben wir es sozusagen mit einer Art „doppelt vertexteter Erinnerung“ zu tun.
Da Gorenštejn doch zu den sehr bekannten Autoren gehört, wieder ein paar Worte mehr zu ihm: Er wurde 1932 in der Familie eines Kiewer Juden geboren. Sein Vater wurde 1932 im Zuge der sogenannten „Säuberungen“ verhaftet und 1937 zum Tode durch Erschießen verurteilt.
Seine Mutter verstarb auf der Flucht vor den Deutschen im Zug nach Osten. Gorenštejns erster, bereits in der Sowjetunion 1972 verfasster Roman „Mesto“ („Der Platz“) wurde in Russland erst 1991 publiziert. Im Jahre 1980 reiste der Autor auf Einladung des DAAD nach Deutschland und verbrachte hier die letzten 22 Jahre seines Lebens.
Hier setzte seine rege schriftstellerische Tätigkeit ein. Er schrieb Publizistik, Romane aber auch Dramen (Theaterstücke).
Von seinen Romanen wären zu nennen: „Psalom“ („Der Psalm“); „Iskuplenie“ („Die Sühne“); „Poputciki“ („Die Weggefährten“); „Skrabin“ („Skrabin“).
Kurz vor seinem Tode vollendete er den Roman „Verovočnaja kniga“ („Das Buch auf der Leine“). Seine Biografin Mina Poljanskaja[16] schreibt:
„… nach seinen Worten ist das ein Versuch, die Geschichte durch die von den Vorgängern geschaffene Literatur zu begreifen.“[17]
Der gesamte Roman besteht in diesem Kontext aus Metaphern und ist voll symbolischer Ausdrucksstärke. So wird der Roman zum Beispiel durch ein fiktives Vorwort von Alexander Herzen eingeleitet, der sich angeblich damit einverstanden erklärt habe, für seinen literarischen Gesinnungsgenossen Gorenštejn zu schreiben. So wird auch ein zeitlicher Brückenschlag möglich.
Symbolisch übrigens schon der Titel, denn der Autor schreibt, dass früher die wertvollen Bücher auf dem Markt zusammen mit anderen, wertvollen Dingen auf eine Leine gehängt wurden, es also eine Ehre war, auf so einer Leine zu hängen.
Und die auf der Leine hängenden Bücher kann man damit auch als eine Aneinanderreihung einer bestimmten Art „Geschichte“ betrachten.
Interessant eben in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass Gorenštejn nun aber selbst schon zu einer Art „erinnerter Text“ geworden ist, nämlich im Buch über Gorenštejn von Mina Poljanskaja (siehe vorstehende Anmerkung).
Poljanskaja formuliert ihr eigenes Anliegen wir folgt:
„Darüber hinaus ist es (das Buch) ein Versuch, durch das tragische Schicksal des Schriftstellers über die Kreuzwege der Entwicklung der russisch-sowjetischen Literatur nach Stalin in Russland und in der Emigration zu berichten.“[18] 
Das in einen Text gegossene Leben des Schriftstellers soll damit eben auch ein Stück Literaturgeschichtsschreibung repräsentieren.

Und abschließend will ich noch einen weiteren Aspekt der „Erinnerungskultur“ im Schaffen russischer in Deutschland lebender Prosaautoren beschreiben. Und zwar geht es um:

4. Science Fiction und Erinnerung

Etwas eigentlich in die Zukunft reichendes wird durch den Blick nach hinten in die Vergangenheit bereichert. Das ist an sich auch in gewisser Weise in die russische Denktradition einordbar, denken wir nur an Tarkowskis Filme „Stalker“ und „Solaris“.
Als Beispiel soll hier ein Werk des heute in Freiburg ansässigen Autors ANATOLI MARKOW fungieren.[19]
Der Autor ist vom Beruf her Physiker und hat auch vor allem nach seiner Übersiedelung nach Deutschland ein reges schriftstellerisches Schaffen begonnen.
Dabei sind „Erinnerungen“ vor allem an den 2. Weltkrieg, den der Autor in jungen Jahren miterlebte, immer ein zentraler Bestandteil seiner Werke.
Schon im 2004 in deutscher Übersetzung veröffentlichten Band von Erzählungen „Hier stand mein Haus“[20], den Flüchtlingskindern unserer Erde gewidmet, wird das Thema des Krieges anhand von vier verschiedenen Erzählungen abgehandelt.
Am beeindruckendsten aber findet dieses seinen Niederschlag in der 2011 beendeten und von mir inzwischen ins Deutsche übersetzten Erzählung „Andromeda“. Schon der Untertitel verweist auf das Besondere, denn er heißt: „Eine russische science fiction story“.
Die sehr originelle Idee, nämlich die Beschreibung eines intergalaktischen Männerbordells, wo also intergalaktische Frauen sich einen Liebhaber auswählen können, mündet in die Geschichte von Andromeda und einen auf diese Station gesandten Erdbewohners, der hier eine besondere Aufgabe zu erfüllen hat. Der Erdling erlebt die ihn auswählende, aus einer ganz entfernten Galaxie stammende Andromeda zunächst als einen in allen Farben schimmernden Regenbogen und die gesamte Atmosphäre ist tatsächlich fremd und exotisch. Doch der Erdling bringt Andromeda auf die Erde und wie sich herausstellt, auch noch zur Kriegszeit. Man kann anhand des sich vollziehenden Geschehens davon ausgehen, dass es sich um den 2. Weltkrieg handelt. Andromeda nimmt rein äußerlich die Gestalt der Jugendliebe des Haupthelden an und der Blick in die ganz ferne Zukunft endet mit einem Bezug zur noch nicht so lange zurückliegenden Vergangenheit. So stark sind diese Erinnerungen, dass sie sozusagen auch dieses zukünftige Geschehen entscheidend prägen.

Aus Zeitgründen möchte ich an dieser Stelle die Vorstellung einzelner Autoren mit der ihnen immanenten besonderen Art des „sich Erinnerns“ beenden.
Weitere Autoren, die ich hier nicht mehr ausführlich vorstellen kann, die aber einen wichtigen Beitrag als russischsprachige Prosaautoren in Deutschland geleistet haben sind: GEORGI VLADIMOV, ANDREJ KUČAEV, VLADIMIR VOJNOVIČ, JURIJ MALECKIJ, OLEG JUR’JEV, BORIS ZAMJATIN und noch viele andere, deren Werke, wie gesagt, ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung harren.

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Anmerkungen:

1. Es gibt jedoch einige richtungweisende Untersuchungen, auf die hier zu verweisen ist: Engel, Chr., Menzel, B. (Hrsg.): Kultur und / als Übersetzung: russisch-deutsche Beziehungen im 20. und 21. Jahrhundert. Berlin 2011; Fischer, Chr.: Russische Literatur als deutsch-deutscher Brückenschlag. (1945 – 1990). Jena 2010; Markovskij, B.: Kuda letit klenovyj list. Poėty russkogo zarubež’ja. (Germanija). Antologija. Sankt Peterburg 2010; Ulbrecht, S.: Die Ost-West-Problematik in den europäischen Kulturen und Literaturen. Prag 2009.

2. Ich verweise hier auf den Beitrag vom D. Dragilew in diesem Sammelband.

3. Slavische Literaturen. Band 31. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien 2002.

4. Lange, U.: Erinnerung in den metafiktionalen Werken von Boris Chazanov und Jurij Gal’perin. a. a. O., S. 12.

5. Ebenda, S. 14.

6. Vgl. u. a. den Gedichtband: Fadin, V.: Čerta: stichotvorenija. Moskva 1990.

7. Fadin, Vadim: Sneg dlja prodaži na juge. Sankt-Peterburg 2010, S. 6. (Sämtliche Zitate aus russischsprchigen Quellen wurden vom Verf. des vorliegenden Beitrages in die deutsche Sprache übertragen.)

8. Siehe auch: Chazanov,, B.: Rodniki i kamni. Sankt Peterburg 2009; ders.: Včerašnaja večnost’: fragmenty XX stoletija. Moskva 2008; ders.: Dopros s pristrastiem: literatura izganija. Moskva 2001.

9. Zitiert nach A. Arjev, maschinenschriftliches Manuskript.

10. Über sein Schaffen, vgl. u. a.: Bulatow, M. A.: Sobiral čelovek slova. Moskva 1969.

11. Einheitsübersetzung: Psalm 102,8.

12. Siehe: Jürgens, Udo; Moritz, Michaela: Der Mann mit dem Fagott. München 2006.

13. Vgl. auch ihre „besondere Liebeserklärung” an ihre neue Heimat „Potsdam”: Neljubina, T.: Potsdamer i potsdamcy. Sankt Peterburg 2003.

14. Vgl auch: Falkov, B.: Ėlka dlja Ba: Goracio. Moskva 2002; ders.: Vo sne zemnogo bytija ili Mocart iz Karelii. Roman. München 1989.

15. Griškovec, E.: A.....a. Povest. Moskva 2010, S. 152.

16. Vgl. auch ihr Buch: Poljanskaja, M.: Plackarty i kontramarki: zapiski o Fridriche Gorenštejne. Sankt-Peterburg 2006.

17. Poljanskaja, Mina: Berlinskie zapiski o Fridriche Gorenštejne. Sank-Peterburg, 2011, S. 306.

18. Ebenda.

19. A. E. Markov ist Jahrgang 1937. Er wuchs in Weißrussland auf und studierte in Leningrad. Im Jahre 1994 emigrierte der nach Deutschland und wurde hier als Schriftsteller sehr aktiv. Seine Werke wurden u. a. publiziert in: „Grani“ (Frankfurt a. M.): Chronika Nr. 7 (Lilija), Nr. 167, 1993; Chronika Nr. 6 (Vasilek), Nr. 169, 1993; Almanach „Stalker“ (Los Angeles): Chronika Nr. 5 (Noč’ na bolote smerti), Nr. 3, 1995; Almanach „Ubijstvennoe vremja“ (Moskva): Chronika Nr. 15 (Dikaja jablonja), 1998; Almanch „Grafo“ (St. Peterburg): Chronika Nr. 13 („Krasnaja luna“), 2004. Aus Platzgründen konnten hier nur einige Werke genannt werden.

20. Markov, A. E.: Hier stand mein Haus. Frankeneck „Verlag Vega e. K.“ 2004. 
 



    

11.01.2012

Dokumentarfilm

Dokumentarfilm



Dokumentarfilm  (Teilbeitrag Russland und Sowjetunion)

In: Wieser Enzyklopädie des Europäischen Ostens. Klagenfurt 2004 (externer Link Onlineartikel)


Erste D.e werden in Russland bereits zu Beginn des 20. Jh. in der Verantwortung privater Unternehmen produziert. In deren Mittelpunkt steht meist die Zarenfamilie. Nach der Oktoberrevolution 1917 verschieben sich die Koordinaten der Filmproduktion zunächst eindeutig zugunsten des D.s, mit dem v. a. ideologische und didaktische Ziele verfolgt werden. Bevorzugte Genres sind Filmchronik, Rundschau und Filmreportage.

Einen Meilenstein in der Geschichte des sowjetischen D.s markiert 1919 die Gründung der Gruppe ›Kinoki‹, der später so bekannte D.er angehören wie: Elisaveta I. Svilova (1900-75), Michail A. Kaufman (1897-1970), Aleksandr G. Lemberg (1898-1974), Ivan I. Beljakov (1897-1967), Sergej P. Komarov (1891-1957), Ilʹja P. Kopalin (1900-76). Die Kinoki-Mitglieder sind richtungsweisend bei der Suche nach neuen filmischen Gestaltungsformen: Prinzip der „Überrumpelung“ des Lebens, Vielfalt in der Rhythmik der Handlung, Einsatz von Montageverfahren, Vorstellung neuer theoretischer Modelle. Auch Vertreter der „Formalen Schule“, wie Viktor Šklovskij und Jurij Tynjanov engagieren sich im Film.

Der D. ist in den 20er und 30er Jahren zentrales Medium für künstlerische Experimente. Besonders bekannt wird Dziga Vertov, der 1929 den Avantgardefilm „Mensch mit Kamera“ (russ. Čelovek s kinoapparatom) gestaltet. Thematisiert wird hier die Funktion einer Filmkamera, die – typisch für den Futurismus– unterschiedliche Aspekte sowjetischen Stadtlebens in den Blick nimmt. Einen Namen als D.erin macht sich ebenfalls Ėsfirʹ I. Šub (1894-1954). Ihr erster Tonfilm „Komsomol-Führer der Elektrifizierung“ (Komsomol-šef elektrifikacii, 1932) gilt als außergewöhnlich. Sie experimentiert hier mit den Einsatzmöglichkeiten der modernen Tontechnik. Die Struktur des Films gleicht einer mit verschiedenen Bildszenarien unterlegten Symphonie. Šub ist in der Verbindung von traditionellen mit neuen künstlerischen Ausdrucksformen beispielhaft für die D.entwicklung jener Zeit. Die für den Futurismus charakteristische Kombination visionärer und dokumentarischer Stoffe wird dabei allerdings nur selten angewandt.

Einen wichtigen Anteil an der D.produktion der 20er und 30er Jahre haben auch Landschafts- und Expeditionsfilme, die jedoch i. d. R. wenig künstlerische Innovation bergen, mit Ausnahme von z. B. Viktor A. Turins (1895-1945) ›Turksib‹ (1929) und Vladimir A. Erofeevs (1898-1940) Filme „Dach der Welt“ (Kryša mira, 1927) und „Das Herz Asiens“ (Serdce Azii, 1928).

Sind in den 20er Jahren v. a. das Typische und Allgemeine Gegenstand des D., so gerät in den 30er Jahren das Individuelle in den Blickpunkt. Ende der 30er Jahre kommt es zu einer Stagnation des D.schaffens. Der Sozialistische Realismus wird zur dominierenden und verpflichtenden Methode in der Kunst. Auch der D. hatte vorrangig die Aufgabe, ein den ideologischen Vorgaben entsprechendes „realistisches Bild“ des gesellschaftlichen Lebens zu zeigen und dabei Interessen und Geschmack eines Massenpublikums zu bedienen. Filmische Experimente werden nicht unterstützt bzw. verboten.

Eine neue Phase der D.kunst beginnt im Zweiten Weltkrieg, an dem zahlreiche Kameraleute teilnehmen und von der Front berichten. Ihre Produktionen stehen im Dienst der Propaganda, sie sollen die Bevölkerung zur Verteidigung der Heimat mobilisieren, den Überlegenheitsmythos der deutschen Armee untergraben und Heldenideale entwerfen. Mit den Kriegsjahren steigt das Interesse am Schicksal des einzelnen vom Krieg betroffenen Menschen. Die anfängliche Betonung der Schlachtszenen weicht psychologischen Charakterstudien. Besondere Bedeutung erlangen Ė. Šubs „Der Faschismus wird zerschlagen werden“ (russ. Fašizm budet razbit, 1941), I. Kopalins und Leonid V. Varlamovs (1907-62) „Die Zerschlagung der deutschen Truppen vor Moskau“ (Razgrom nemeckich vojsk pod Moskvoj, 1942) und Aleksandr Dovženkos „Der Kampf um unsere Sowjetukraine“ (Bitva za našu Sovetskuju Ukrainu, 1943).

Als Höhepunkt der Kriegsd.produktion gilt Ju. Rajzmans von der Entscheidungsschlacht um Berlin im April 1945 berichtende Film ›Berlin‹. Der Nachkriegsd. ist thematisch geprägt von der Erinnerung an den Krieg, der Abrechnung mit den Kriegsverbrechern und Trauer um die Opfer. Beispielhaft ist hier Roman Karmens und E. Svilovas „Gericht der Völker“ (Sud narodov, 1946). Eine zunehmende Rolle beginnt auch die Darstellung der freundschaftlichen Beziehungen zu den sozialistischen Bruderländern zu spielen. Gegenseitige Staatsbesuche werden zum zentralen filmischen Gegenstand.

Die nach der Entstalinisierung folgende „Tauwetterperiode“ führt zu einem Aufschwung in der D.produktion. Ins Zentrum der Betrachtung kommen nun ungewöhnliche, nicht mehr typische Menschenschicksale. Zum Manifest der neuen Richtung wird der Film ›Katjuša‹ (1964, Regie: Viktor Lisakovic). Porträtiert wird hier die im Zweiten Weltkrieg als Kundschafterin und Sanitäterin tätige Ärztin Ekaterina Demina. Im Mittelpunkt stehen ihre emotionalen Reaktionen. Seit 1954 leben die Genres des kritischen Filmfeuilletons und die Reportage auf. Meisterhafte Reportageaufnahmen schaffen z. B. R. Karmen, Igorʹ V. Bessarabov (*1919).

In den 60er Jahren werden erste dokumentarische Langzeitbeobachtungen gestaltet, d. h. im Mittelpunkt steht nicht mehr das Ereignis selbst, sondern seine Entstehungsgeschichte. Ebenso gewinnt die Theoriediskussion neue Impulse. Archive werden ausgewertet und führen zur Produktion von Kompilationsfilmen, z. B. „Der gewöhnliche Faschismus“ (Obyknovennyj fašizm, 1965, Regie: Michail Romm).

Die gesellschaftliche Stagnation der 70er bis Mitte der 80er Jahre spiegelt sich auch in der D.produktion wider. Die wachsende Abkehr von den großen gesellschaftlichen Idealen bedingt einen verstärkten Rückzug ins Private. Emotionale Einsamkeit kontrastiert mit plakativem Festhalten an sozialistischen Utopien. Beachtenswerte Akzente setzen Filme, die Frauenthemen in den Mittelpunkt stellen und sich insgesamt neuen Problemkreisen zuwenden wie verlorenen Idealen, Umweltkatastrophen u. ä. Bereits in den 60er und 70er Jahren erfahren Filme aus den verschiedenen Sowjetrepubliken ein verstärktes Interesse im In- und Ausland. Diese Filmproduktion wurde einerseits staatlich gefördert, andererseits gegen jegliche Separationsbestrebungen kontrolliert. Zu den Regisseuren, denen es dennoch gelingt, die Spezifik ihrer Heimat abzubilden, gehören z. B.: Malik Kajumov (Usbekistan, *1912), Bolotbek T. Šamšiev (Kirgisistan, *1941), Ara S. Vauni (Armenien, *1938), Vladimir P. Tatenko (Kasachstan, *1931), Emil Lotjanu (Moldawien, *1936), A. Slesarenko (Ukraine), Vitalij Kanevskij (Weißrussland, *1935), L. Saladze (Tadschikistan), Peep Puks (Estland, *1941).

Der Film der Perestroika ist v. a. der Aufarbeitung der sowjetischen Vergangenheit gewidmet, so z. B. „Die Macht der Solovki“ (Vlastʹ Soloveckaja, 1988).

Die Filme der 90er Jahre setzen andere Akzente und bringen eine neue Vergangenheitsnostalgie hervor. Im Mittelpunkt der D. stehen Erinnerungen an glorreiche Zeiten russischer Geschichte (Zarenzeit und Zweiter Weltkrieg) und vielfach militärische Symbolik (z. B. die Kosakenverbände). Es werden aber auch neue gestalterische Wege gesucht, wie der Film „Dienstpflicht“ (Povinnostʹ, 1998) von Aleksandr N. Sokurov (*1951) beispielhaft zeigt, der die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion aufhebt. Internationale Beachtung finden u. a. folgende junge D.er: Artur Aristakisjan (*1961) mit „Handflächen“ (Ladoni, 1993), Viktor Kosakovskij (*1961) mit „Mittwoch“ (Sreda, 1996), Larisa Sadilova (*1963) mit „Zum Geburtstag“ (S dnëm roždenija, 1998). Die gegenwärtige instabile Finanzlage lässt viele Projekte scheitern und verstärkt die kommerzielle Orientierung des D.schaffens.

Schlegel H.-J. (Hg.) 1999: Die subversive Kamera. Zur anderen Realität in mittel- und osteuropäischen Dokumentarfilmen. Stuttgart. Felix J. 1992: Etwas ist zu Ende: Dokumentarfilmdebatten in den letzten Jahren der UdSSR. Marburg. Klaue W., Lichtenstein M. 1967: Sowjetischer Dokumentarfilm. Berlin. Roberts G. 1999: Forward Soviet! History and non-fiction film in the USSR. London. Vertov D. 1984: Kino-eye. Berkeley.

(Björn Seidel-Dreffke)




 

Das Deutschlandbild

Blick / Gegenblick. Sowjetische und deutsche DokumentarfilmeDas Deutschlandbild im russischen Dokumentarfilm 
des 20. Jahrhunderts



Das Deutschlandbild im russischen Dokumentarfilm 
des 20. Jahrhunderts. Stationen wechselnder Perspektiven.

In: externer Link PDF Blick / Gegenblick. Sowjetische und deutsche Dokumentarfilme.
Programmheft zur Retrospektive des Bundesarchiv-Filmarchivs und des 46. Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm 2003.
(Siehe auch: Aufsatz externer Link PDF Anhang C)


Die Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland sind durch eine lange und wechselhafte Geschichte gekennzeichnet. Dabei war das Bild, welches man sich voneinander machte ebenso Brüchen und Veränderungen unterworfen. Das bestimmte Epochen bestimmende Klischee vom anderen resultiert sowohl aus historischen Entwicklungen, orientiert sich aber auch an verschiedenen, mit der eigenen Geistestradition verbundenen Vorstellungen.

Vorab sei folgendes angemerkt: Begriffe wie „Russen“, „Deutsche“ etc. sind historisch bedingt. Konkrete Vorstellungen von nationaler Identität bildeten sich innerhalb der europäischen Geistesgeschichte erst im 19. Jahrhundert heraus. Abgrenzung und Definition nationaler Einheiten bleiben bis heute ein umstrittenes Thema.

Ich möchte darauf verweisen, daß ich die im folgenden von mir zu analysierenden Dokumentarfilme in die spezifisch russische geistesgeschichtliche Tradition einordnen lassen und ich mich deshalb explizit auf den spezifisch russischen Deutschlandblick konzentrieren werde. Hinsichtlich der zeitlichen Eingrenzung sei darauf verwiesen, daß es vor allem um die Filme geht, die vor der Perestrojka entstanden sind. In diesem zeitlichen Rahmen sollen einigen Stationen des wechselnden Blickes aufeinander umrissen werden.

Zu Beginn sei ein kurzer Einblick in die Geschichte russischer Deutschlandbilder gegeben, um die Untersuchungen historisch konkreter verorten zu können, Traditionen sichtbarer zu machen.

Haupttendenz des russischen Blickes nach Westen war seit dem Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert eher ein distanziert-kritischer. Ein Aspekt, der diese Entwicklung determinierte waren die Nachwirkungen des Mongolen-Tatarenjochs, das Rußland ca. vom 13. Bis zum 15, Jahrhundert mehr unter asiatischen Einfluß brachte.

Es gab aber auch einen zweiten Aspekt, der einen kritischen Blick nach Westen und damit auch auf die Deutschen forcierte. Dabei handelt es sich um die russisch-orthodoxe Kirche, die sich auf die byzantinische und nicht auf die römische Tradition beruft. Vor allem im russischen Mittelalter blieb die Einstellung den Fremden gegenüber vor allem konfessionell geprägt.

Einschlägige Forschungen belegen, daß es kaum differenzierte Fremdenbilder bis zum Zeitalter der Aufklärung im russischen Schrifttum gibt.

Ein Wendepunkt des russischen Verständnisses vom Westen und damit auch von Deutschland setzte mit der Regierungszeit Peters I. ein und kulminierte während der ersten Herrschaftsphase Katharina II. Man war nun um Annäherungen vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet bemüht, übernahm westliche Moden.

Ergebnis dieser plötzlichen, kompromißlosen und rigiden Hinwendung zum Westen aber war ein Bruch in der russischen Geistesgeschichte, der bis heute spürbar bleibt. Besonders im 19. Jahrhundert setzte eine intensive Auseinandersetzung mit den zwei Polen der russischen Geschichte ein: Mißtrauen und Rivalität gegenüber der westlichen Kultur – rückhaltlose Öffnung auf allen Gebieten. Spuren dieser Auseinandersetzung lassen sich besonders im 19. Jahrhundert in allen Bereichen der russischen Geistesgeschichte (Publizistik, Philosophie, Literatur) eruieren. Eine Kulmination und Verdichtung erfuhr die Problematik in der berühmten Polemik zwischen Westlern und Slavophilen, die nachhaltigen Einfluß auf russischen Fremdenbilder auf allen Ebenen hatte. Während die Westler die Rückständigkeit Rußlands betonten und den Anschluß an den Westen für unumgänglich hielten, entwickelten die Slawophilen geschichtliche Konstruktionen, die einen Sonderweg Rußlands legitimieren sollten. Dabei wurden Mythen, Legenden und metaphysische Spekulationen zu einem umfassenden Erklärungsversuch des Antagonismus zwischen Ost und West verdichtet: Der Westen wurde als individualistisch, rationalistisch, kühl beschreiben. Das westliche Bewußtsein neige dazu, die Dinge zu zergliedern und spalte damit die Einheitlichkeit des Seins. Die damit dem Westen immanenten destruktiven Kräfte würden zu dessen baldigem Untergang führen.

Rußland dagegen sei emotional, altruistisch, universal denkend, seine Bestimmung sei es, alle Gegensätze zu vereinen. Seine Stärke liege in der Kommunarität, der Schaffung der Einheit aus der Vielheit. Hieraus resultiere ein russischer missionarischer Anspruch, der bald in eine Führungsrolle in der Welt münden solle.

Ins Spiel gebracht wurden dabei teilweise auch Überlegungen, die den Westen als männlich und Rußland als weiblich konnotierten. Die faschistische Propaganda nutzte später, zum Beispiel, Versatzstücke der im 19. Jahrhundert aufkommenden geistigen Auseinandersetzung zwischen Ost und West und paßten sie ihrer Ideologie an. So sah man im Westen den aktiven männlichen Part, der das russisch-weibliche gewaltsam erobern, überwinden und unterwerfen müsse.

Aus der Auseinandersetzung zwischen Östlichem und Westlichem resultierten auch Vorstellungen vom Deutschen in der russischen Literatur, der Philosophie, in der Publizistik etc. Damit wirkten die sich in der russischen Geistestradition herausbildenden Vorstellungen auch noch im 20. Jahrhundert fort.

Das 20. Jahrhundert brachte aber auch ein neues Medium, welches sich Fremdenbildern und dabei speziell dem Deutschen zuwandte. Dieses Medium war der Film. Hier sind vor allem die Erkenntnisse von Oksana Bulgakowa hervorzuheben.1

Einerseits bezieht sich der frühe sowjetische Film auf die überkommenen geistigen Traditionen, andererseits bemüht er sich um die Abgrenzung von traditionellen Künsten, was zu inhaltlichen und stilistischen Innovationen führte.

Wichtig wäre hier anzumerken, daß der Film ob seiner Massenwirksamkeit als gutes Mittel zur Verbreitung sozialistischer Ideale gesehen wurde. So wurden die Deutschen in den 20er Jahren vor allem als Klassenbrüder betrachtet, mit denen man sich über nationale Grenzen hinweg verbünden müsse. Zu Zeiten des aufkommenden Faschismus wurde der deutsche Arbeiter als unschuldiges Opfer der nationalsozialistischen Ideologie gesehen, dem man die Augen öffnen müsse. Die Kriegszeit war teilweise von einem sehr negativen Deutschenbild geprägt, da man diese nun ausschließlich alle als Monster oder Verbrecher sah.

Die Rezeption der Nachkriegszeit ist gekennzeichnet vom Kampf der beiden Weltsysteme, wobei DDR und BRD natürlich unterschiedlich verortet wurden. Die DDR war Mitglied der sozialistischen Gemeinschaft, sollte in die Einheit integriert, vom großen Bruder geführt werden. Hier treten Vorstellungen von der russischen Mission wieder überdeutlich hervor. Die Nach-Perestrojka-Ära hat im Prinzip wieder alle Facetten des russischen Geisteslebens auf den Plan gerufen.

Die bisherigen Forschungen zu Bildern des Deutschen in russischen Filmen des 20. Jahrhunderts beziehen sich allerdings vor allem auf Spielfilme. Deutsch-russische Beziehungen sind Themen von Filmreihen und Filmfestivals.

So fand, zum Beispiel, 1995 in Berlin eine Ausstellung unter dem Titel „Berlin- Moskau / Moskau - Berlin 1900-1950“ statt, die eine Filmreihe im Programm hatte, deren Augenmerk sich auf deutsch-russische Wechselseitigkeit im Filmbereich richtete. Der überwiegenden Anteil der hier russische Deutschlandbilder vermittelnden Filme gehörte allerdings in den Bereich des Spielfilms. Eine Fortsetzung der Ausstellung unter dem Titel „Berlin - Moskau / Moskau - Berlin 1950-2000“ ist für den Zeitraum September 2003 bis Januar 2004 geplant.

Ein Kapitel deutsch-russischer Wechselseitigkeit schlägt auch das diesjährige Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden („goEast“: März-April 2003) auf. Auf einem Symposium untersuchen Filmspezialisten unter Leitung des Berliner Filmhistorikers Hans-Joachim Schlegel „Bilder des Deutschen im sowjetischen und postsowjetischen Kino“,2 wobei wiederum der Spielfilm dominiert.

Die Leipziger Retrospektive zu Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland schlägt deshalb ein wichtiges, in vielerlei Hinsicht neues Kapitel der Betrachtung deutsch-russischer Wechselseitigkeit auf.

Der Dokumentarfilm wird in der Filmgeschichte, im Vergleich mit anderen Genres, weniger stark beachtet.3 Dabei spielte er, zum Beispiel, in der Sowjetunion, vom Beginn der Filmgeschichte an, eine wichtige Rolle. Der in der Kunstästhetik insgesamt als führende Richtung verortete sozialistische Realismus ließ den Fakt bzw. das Dokument zu einem zentralen Vehikel der künstlerischen Methode werden. So wurden im russischen Dokumentarfilm der 20er Jahre zu einem weitaus früheren Zeitpunkt experimentelle Techniken und innovative Darstellungsarten angewandt, als im Spielfilm. Der Dokumentarfilm galt, wenigstens zu Beginn der Filmgeschichte, als ideales Medium zur Verwirklichung der Methode des sozialistischen Realismus. Frühe Filmkünstler waren entweder darum bemüht, den Film als Synthese der traditionellen Künste zu sehen (Literatur, Malerei, Musik) oder als völlig neues Ausdrucksmedium. Man setzte dann bewußt auf Gestaltungsmittel, die in anderen Künsten so nicht möglich waren.

Thematisch konzentriert sich der frühe sowjetische Dokumentarfilm auf das eigene russische Leben. Man war darum bemüht, die Vorzüge des neuen sozialistischen Lebensideals zu demonstrieren. Aber auch der Blick auf das Eigene impliziert Vorstellungen vom anderen, Der Kommunismus sollte nach dem Willen der neuen Ideologie auf der ganzen Welt siegen. Dieser universelle Anspruch forderte spezielle künstlerische Ausdrucksformen. Man wollte schließlich überzeugen.

Aber auch das Andere, Fremde u.a. auch das Deutsche fand Eingang in den sowjetischen Dokumentarfilm.

Der wohl bekannteste avantgardistische sowjetische Dokumentarfilm der 20er Jahre ist Dsiga Wertows „Der Mann mit der Kamera“ (1929). Im Mittelpunkt steht der Lebensrhythmus einer Großstadt, dargestellt anhand der Ereignisse eines einzigen Tages: morgendliches Erwachen, Arbeitsleben, Freizeitgestaltung bis hin zum Abend. Verschiedene Lebenszyklen sind ins Gesamtgeschehen integriert, zum Beispiel: Hochzeit, Geburt, Sterben.

Wertows Dokumentarfilm beschreitet filmästhetisch neue Wege. Im Vorspann wird explizit darauf hingewiesen, daß das Werk darauf ausgerichtet sei, eine internationale, universelle Kinosprache zu schaffen, die sich sowohl von der Sprache des Theaters als auch der Literatur unterscheide. Die Rekurrierung auf Sprache ist nicht zufällig. Zahlreiche Avantgarde-Künstler waren von den Theorien der „Formalen Schule“ beeinflußt4 , die literarische Werke unter maßgeblicher Beteiligung der aus der Sprachwissenschaft entlehnten Methoden zu analysieren begannen. Sprache galt ihnen nicht nur als Hauptkommunikationsmittel, sondern als universeller Code, der sich auf alle Bereiche des Daseins übertragen lasse. Die Welt wurde in diesem Verständnis als Text betrachtet, der nach bestimmten linguistischen Regeln aufgebaut ist. Die Entschlüsselung dieser Regeln und Zusammenhänge macht die Welt durchschaubar. Wertow wollte mit seinem Film eine neue, für das neue Medium charakteristische Sprache schaffen, die aber auch für den Rezipienten durchschaubar gemacht werden sollte.5

Die Arbeit, das Tun des Kameramanns sollte transparent gemacht werden; er wurde selbst bei der Arbeit gefilmt, dem Zuschauer wurden die unterschiedlichen Funktionen und Möglichkeiten einer Filmkamera vor Augen geführt. Der Film soll bewußt als „gemacht“ erscheinen, der Zuschauer soll sich nicht der Illusion der Unmittelbarkeit des Gesehenen hingeben, sondern zum analytischen Denken stimuliert werden.

Wertows Film wirkt wie ein abgeschlossenes Ganzes, hat symphonischen Charakter, ist kaum vordergründig mit Politik oder Ideologie überfrachtet. Um so bedeutsamer ist der Umstand, daß es quasi zu einem Bruch innerhalb des Ganzen kommt, als das Deutsche bzw. das Verhältnis zu Deutschland im Film zum Thema wird. Es entsteht eine Dissonanz, eine Unterbrechung des „Sprechaktes“, was die Thematik dabei nur noch exklusiver macht. Die bis dahin im Film betonte Harmonie weicht einem bewußten Antagonismus.

Eingeleitet wird die filmische Sequenz durch das Bild mehrerer vom Sturm gepeitschter Bäume. Der ruhige Lebensrhythmus wird unterbrochen. In kurzer Folge werden hintereinander zwei Plakate präsentiert: 1.) eines mit der Aufschrift: „Selennaja Mauella“ („Die grüne Manuella“), mit frivolen Bildern darunter und ein zweites mit den Worten „Kino ‚Proletarij‘ Theater“ („Kino ‚Proletarier‘ Theater“). Das proletarische Theater wird der dekadenten westlichen, in diesem Falle deutschen, Kultur gegenübergestellt. Daraufhin werden Russen und Deutschen bestimmte charakterisierende Motive zugeordnet. Die Deutschen erscheinen als betrunkene Besucher einer Bierhalle.6

Dem Deutschen zugeordnet ist ein Haufen Krebse, wobei einer der Krebse auf der Spitze tanzt und schließlich abstürzt. Eine visuelle Persiflage auf den schon in dieser Zeit von den zur Macht strebenden Nationalsozialisten verbreiteten Führerwahn.

Der Mann mit der Kamera entsteigt schließlich einem überdimensionalen Bierglas, was einem Akt der Befreiung symbolisiert.

Ein Szenenwechsel präsentiert dem Zuschauer ein Lenin-Bildnis an einer Hauswand und ein Schriftzug über der Tür verrät, daß es sich hierbei um einen Freizeitclub mit Namen „Lenin“ handelt, wo u.a. Halma und Schach gespielt wird. Das Spiel visualisiert die vom Künstler vorausgeahnte Konfrontation zwischen Russen und Deutschen. Diese Konfrontation wird schließlich zu einer offenen Auseinandersetzung stilisiert: Eine Frau schießt auf eine Puppe mit Bayernhut und Hakenkreuz, eine Hand hält ein Messer, es erscheint der Schriftzug „Batko faschismu“ („Kampf dem Faschismus“).

Dazwischen eine Aufnahme von nebeneinander stehenden Bierflaschen, wobei eine nach der anderen wie von Geisterhand verschwindet.

Der Mann mit der Kamera tritt aus einem Spirituosenladen und begibt sich zum Leninclub. Im Inneren erscheint ein riesiges Plakat, das einen berittenen Offizier zu Pferde vor einer mit fünfzackigen Sternen übersäten Landkarte der Sowjetunion zeigt. Mit dem Wechsel des Kameramanns in den Club verschwinden die deutschen Motive: Man sieht nur noch einmal kurz einen von Füßen zertretenen deutschen Adler am Boden liegen.

Es erscheint ein Klavier in einem überdimensionalen Lautsprecher, eine Frau spielt Xylophon auf leeren Flaschen, man sieht lachende Gesichter, stampfende Füße, auf einem Klavier spielende Hände.

Die Identifizierung der Deutschen als Trinker, kehrt gleichzeitig den bis dahin für die Kennzeichnung von Russen und Deutschen charakteristischen Mythos in sein Gegenteil. Traditionell sah der Stereotyp den Russen als emotional sinnlichen Genießer, der vor allem dem Alkoholkonsum zugetan war. Dem Deutschen hingegen wurde gern kühle Rationalität zugeschrieben. Hier nun sieht man den trinkenden, jeder Rationalität baren Deutschen den intellektuell aktiven Russen (zum Beispiel beim Schachspiel) gegenübergestellt.

Der Schlüssel zur Interpretation des Verhältnisses zwischen Russen und Deutschen liegt hier auch in der Präsentation der Art der Kommunikation. Zwischen den betrunkenen Deutschen findet kein echter geistiger Austausch statt, analog zu den einzelnen Bierflaschen sind sie relativ rasch aus dem Weg zu räumen. Die aufgeschichteten Krebse symbolisieren einen willkürlich zusammengewürfelten Haufen. Dieser in sich zerrissenen Vielheit wird die organische Einheit der russischen neuen sozialistischen Volkskultur gegenübergestellt. Das lachende, spielende, tanzende und singende russische Volk bildet einen unüberwindlichen Gegensatz zur dekadenten Kultur der Deutschen. Eine ähnliche Kontrapunktsetzung finden wir übrigens auch in früheren Filme Wertows. In seinem frühen Opus „Ein Sechstel der Erde“ („Schestaja tschast mira“; 1926) wird die dekadente, untergehende Kultur des Westens der neuen proletarischen Kultur der Sowjetunion gegenübergestellt, wobei auch hier die westliche Kultur ausdrücklich deutsch konnotiert ist, zum Beispiel bei der Präsentation einer nächtlichen Stadt, deren Leuchtreklame deutsche Schriftzüge hat7. Im Film wird dem Westen vorgeworfen, die Kultur anderer Völker (z.B. der Afrikaner) zu transformieren, für sich auszunutzen, sie zu profanieren.

Im „Mann mit der Kamera“ zeigt Wertow im Gegensatz zum betrunkenen vor sich hinstarrenden Deutschen vor allem die lachenden Gesichter russischer Kinder, Frauen und Männer. Die Literaturwissenschaftler M. M. Bachtin und D. S. Lichatschow bewiesen überzeugend, daß das karnevalistische Element bzw. die sogenannte „Lachkultur“ ein integratives Element der russischen Volkskultur ist. Diese „Lachkultur“ bildete auch immer ein Vehikel der Polemik des Volkes mit den Herrschenden und wird auch zum Symbol des Zusammenstehens des russischen Volkes gegen mögliche Eindringlinge.

„Nach dem Kanon des karnevalistischen Volksfestes waren der menschliche Körper und die Welt nach einem einheitlichen Prinzip konstruiert und in diesem System identisch. Seinen Körper zu beherrschen, hieß in diesem Fall auch die Welt beherrschen, da beide gemäß der karnevalistischen Logik nach ein und demselben Mechanismus funktionieren.“8

Zahlreiche Avantgardefilme gaben sich sehr patriotisch. Sie konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf das Geschehen im eigenen Land. Allerdings läßt sich teilweise aus der besonderen Art, wie man sich präsentierte, der Schluß ziehen, welches Rußlandbild man beim Rezipienten erwartete bzw. welches Bild man sich selbst vom Ausland sich machte. Viele Avantgardefilme waren in diesem Sinne nicht ausschließlich für den russischen Zuschauer konzipiert.

Die Avantgarde nutzte die Montage als zentrales Ausdrucksmittel. Oft tritt uns in diesen Filmen die Masse als wichtiger Held entgegen. Hauptmethode ist der sozialistische Realismus, der sich an einem inzwischen zur Abstraktion geronnenen Ideal orientiert, das alles Zufällige aus dem menschlichen Leben aussondern will. Dabei geht man auch häufig von einem abstrakten, mit Ansätzen eines proletarischen Bewußtseins ausgestatteten Zuschauer aus, der im Sinne des vorgegeben Ideals zu vervollkommnen sei.

Deshalb sind die frühen sowjetischen Tonfilme auch oft auf einen Dialog mit dem Zuschauer ausgerichtet. Der Zuschauer soll quasi auch eine Stimme erhalten, indem er sich innerlich mit den von der Leinwand an ihn gerichteten Gedanken, Fragen Typen, oft auch Ansprüchen auseinandersetzen kann. Das Wort an sich wird nun oft zum zentralen sujetbildenden Element:

„Im frühen sowjetischen Tonfilm ist die Artikulation des Wortes ein Akt der Selbsterkenntnis und der Identifikation und hat im Grunde genommen magischen Charakter – es ist das Wort als Sprach-Handlung, das die Masse zum Handeln in der Gesellschaft veranlaßt und so zu einem zentralen Sujet-Moment wird.“9

Esfir Schub nutzt in ihrem ersten Tonfilm „Komsomol – Leiter der Elektrifizierung“ („Komsomol – chef elektrifikacii“; 1932) das Wort auf sehr subtile Weise zur Präsentation bestimmter Idealvorstellungen vom sozialistischen Aufbau und vom „neuen Menschen“. In die einer Symphonie nachempfundene Bildkomposition, die verschiedene Stadien beim Bau eines Wasserkraftwerks in Transkaukasien beschreibt, sind Aufnahmen Reden haltender Komsomolzen (Leiter, einfach Arbeiter u.a.) eingebaut. Diese üben Kritik und Selbstkritik, preisen ihr Werk etc. Die Sprachgewalt der Redner soll von ihrer Überlegenheit zeugen. Der Sprechakt wird zu einer Art Machtdemonstration. In einer Filmszene gegen Ende des Streifens kommt auch ein amerikanischer Investor zu Wort, der sich allerdings nur mit Hilfe eines Übersetzers Gehör verschaffen kann. Er muß sich sprachlich den Russen anpassen und nicht umgekehrt.

Schub setzt auch auf Gesten, um die Überlegenheit der sozialistischen Wirtschaft zu demonstrieren. Beim avisierten Zuschauer auch und gerade im Ausland will man Staunen und Begeisterung für die Sowjetunion hervorrufen. Da das Ausland Rußland für rückständig hielt setzte man darauf, diese Vorstellungen zu entschärfen. Man setzte also eine bestimmte Sicht des westlichen Publikums auf Rußland voraus, was zu einer bestimmten Form der Selbstrepräsentation führte.

Im russischen Dokumentarfilm dominierte während des zweiten Weltkrieges verständlicherweise ein negatives Deutschlandbild. Wochenschauen berichteten über Kriegsereignisse. Um die Kampfmoral der russischen Soldaten zu erhöhen und den Widerstandswillen des Volkes anzufachen, wurde auf das Erzeugen von Haßgefühlen gegenüber den Deutschen gesetzt, die nicht mehr nur auf die Herrschenden und Kriegstreiber gerichtet waren, sondern nun auf Deutschland im Sinne eines monolithen Organismus projiziert wurden.

Die Nachkriegszeit brachte hier eine rasche Wende. Die Schuldfrage wurde wieder differenzierter gesehen, wobei ideologischen Aspekten ein besonders großer Einfluß zukam. Man teilte nun das sich teilende bzw. geteilt werdende Deutschland in einen guten sozialistischen und bösen kapitalistischen Bereich auf. Dabei wurde die Bundesrepublik mit der gesamten westlichen Hemisphäre zugeordneten Negativa ausgestattet wie: Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiterklasse, Kriegstreiberei, soziale Ungerechtigkeit.

Die Mehrzahl dokumentarischer Projekte richtet sich auf die Darstellung der freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der DDR und der UdSSR. Aber auch die Aufarbeitung der historischen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit erhielt einen großen Stellenwert. Auf diesem Gebiet erlebte vor allem der Kompilationsfilm künstlerische Höhepunkte. Schwerpunktmäßig bezog man sich in der Vergangenheitsbewältigung auf die Ereignisse des 2. Weltkrieges, vor allem der Sieg der Roten Armee wurde immer wieder herausgehoben. In Filmtitel findet sich häufig das Wort „Befreiung“.10

Den direkt auf die Kriegsereignisse reagierenden Dokumentarfilmen folgen später Filme, die die Zeit von Faschismus und Krieg aus einer eher analytisch-rationalen Perspektive zu untersuchen versuchen.11

Ein weiteres zentrales Anliegen sowjetischer Dokumentarfilme war natürlich auch die Darstellung der Entwicklung im neuen, von Rußland dominierten Teil Deutschlands, der mit der Sowjetunion als konform tradierte sozialistische Aufbau, Freundschaftsbegegnungen, Staatsbesuche etc.12

Es wurden natürlich auch Filme zu anderen, die Mannigfaltigkeit des Lebens repräsentierenden Bereichen gedreht.13 In meinen folgenden Analysen konzentriere ich mich aber auch Repräsentanten der oben genannten zentralen Bereiche.

Der Film „Die Befreiung Berlins“ (1945/1967) unter der Regie von Juli Raisman berichtet von der Entscheidungsschlacht um Berlin im April 1945. Es handelt sich dabei um eines der bekanntesten Filmwerke über die letzten Ereignisse des Zweiten Weltkrieges. Vorab sei darauf verwiesen, daß der Film in zwei Fassungen vorliegt. Die Urfassung von 1945 wurde im Jahre 1967 im Kontext der Entstalinisierung verändert. Die zweite Fassung ist weniger pathetisch, es werden kaum noch Aufnahmen von Stalin gezeigt, die Darstellung der russischen Generalität wurde eingeschränkt, Kampfszenen wurden gekürzt. 14

Ein besonderer russischer Blick auf die Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland ist hier durchaus präsent. Die Betrachtung des Kontrahenten von russischer Seite aus wird auf verschiedenen Ebenen thematisiert, die miteinander verwoben sind. Es wird bereits vermieden, ein prononciert negatives, die Deutschen als unmenschliche Monster charakterisierenden Bild zu schaffen. Der Deutsche wird vor allem als Verlierer und darauf als Schutzbefohlener konnotiert.

Die historische Ebene greift zurück auf das Jahr 1760, als das Berliner Stadtoberhaupt eine Kapitulationsurkunde unterzeichnete, die die Stadt vor der Zerstörung bewahrte. Hier wird eine ununterbrochene Traditionslinie des siegreichen russischen Volkes konstruiert.

Es existiert aber auch eine Ebene philosophisch ausgerichteter Auseinandersetzung mit dem Feind, die bestimmte überkommene Vorstellungen und Mythen, die auch in die faschistische Ideologie Eingang fanden, zerstören will.

Zu Beginn des Films wird eine mit Hitlerzitaten unterlegte animierte Landkarte präsentiert, die nach und nach all jene Gebiete zeigt, die in die Eroberungsstrategie Nazideutschlands fielen. Demgegenüber wurden dann Landkarten mit befreiten russischen Gebieten dargestellt, wobei Flüsse als zentrale Markierungspunkte dienen (z.B.: Wolga, Don, Desna, Oder u.a.). Die faschistische Landkarte ist starr, die angestrebte Ausdehnung Nazideutschlands wird durch in verschiedenen Richtungen zeigenden Pfeile symbolisiert. Die Landkarten der russischen Gebiete sind animiert, also in Bewegung. Sie haben ihr Zentrum im Fluß als Symbol des Lebens.

Auch werden Sowjetsoldaten mehrmals beim Kartenlesen gezeigt. M.E. handelt es sich hier nicht um willkürliche Aufnahmen, sondern um einen Kunstgriff, der eine tiefere Bedeutung vermitteln soll. Faschistische Mythenbildung hatte ja, wie bereits angedeutet, sich auf bestimmte Denkkonzepte beziehend und diese in ihrem Sinne umdeutend, den Deutschen auch als allen andern Völkern geistig überlegen qualifiziert. Der Deutsche war in diesem Selbstverständnis der Rationale, Verstand Besitzende, der Kopf, das Männliche, das sich das russische Land, den Körper, die Materie unterwerfen wollte – Legenden aus denen der allgemeine Führungsanspruch Hitlerdeutschlands durchaus auch abgeleitet wurde.

Der Faschismus wird – und dies ist auch Ziel der Bildaussage – von Rußland auch intellektuell überwunden. Die Russen sind den Nationalsozialisten auch geistig überlegen.

Wieder wird die russisch-deutsche Wechselseitigkeit vor allem als Gegenüberstellung der russischen Gemeinschaftlichkeit (gemeinsamer Angriff, gemeinsamer Marsch, gemeinsamer Sieg der Soldaten) gegen die deutsche Zersplitterung gestellt. Es werden vereinzelte Deutsche gezeigt, die in den Straßen kämpfen, die von den Sowjetsoldaten Brot erhalten, die den Bunker verlassende deutsche Militärführung.

Von Bedeutung ist hier auch der relativ lange Blick des Verharrens der Kamera auf dem toten Goebbels. Seit der Konstituierung der ästhetischen Prinzipien der Formalen Schule, die auch im Film großen Einfluß hatte (siehe u.a. bei Dsiga Wertow) gehörte „Sprache“ zu den bewußt eingesetzten zentralen Gestaltungsmitteln filmischer Werke. Der Propagandaminister des faschistischen Deutschland schweigt nun für immer. Dem Faschismus wurde das Wort genommen. Wir finden auch kaum sich artikulierende Deutsche im Film, sondern nur hilflose an Häuserwänden angebrachte Durchhalteparolen – mehr ein Stammeln als ein Sprechen.

Schlußakt des Films bildet nicht zufällig die Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch faschistische Generäle. Das letzte schriftliche Wort Hitlerdeutschlands ist die Kapitulation.

Die im bzw. kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gedrehten Filme über die Auseinandersetzung der Sowjetunion mit dem faschistischen Deutschland haben oft ein relativ starres Schema von Gewinnern und Verlierern, waren dabei von einem bestimmten Pathos getragen, wollten vor allem didaktisch wirken, zur Umerziehung der deutschen Bevölkerung und Entnazifizierung beitragen.

Später kamen Filmwerke hinzu, die einen analytischen Zugriff hatten, Dinge differenzierter darstellten. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist Michail Romms Filmklassiker „Der gewöhnliche Faschismus“ (1965). Der Regisseur gibt selbst zu Beginn des Films seinen verzichtet auf didaktisch anmutenden Kommentare bekannt. Er will in einen Dialog mit dem Zuschauer treten, will zum Nachdenken anregen will Emotionen wachrufen.

Die Ausrichtung auf ein Gespräch mit dem Zuschauer, auf Polyphonie (Vielstimmigkeit) ist wahrscheinlich auch von den Theorien M. M. Bachtins beeinflußt, dessen Entdeckung der polyphonen Struktur der Romane Dostoewskis zu einem Multiplikator kulturtheoretischer Reflexionen in diese Richtung wurden. Der Dialog wurde als zentrales Ausdrucksmittel in Kunstwerken aus Literatur, Film, Theater u.a. nicht nur verstärkt genutzt, sondern es wurde auch versucht, ihn in die Struktur einzelner Kunstwerke einzubauen. Russisch-deutsche Wechselseitigkeit, kommt trotz der Konzentration auf Hitlerdeutschland zum Ausdruck.

Der Beginn des Films zeigt zukünftige russische Studenten, die auf ihre Aufnahmeprüfung an die Universität warten. Es handelt sich dabei um normale, friedliche, junge Leute, die sich die Prüfungsangst auf unterschiedliche Art und Weise vertreiben. Die Frage wird in den Raum gestellt, was sie wohl von Faschismus wissen mögen. Es wird also von einem in der Gesellschaft inzwischen vorhandenen Abstand zu den Ereignissen des 2. Weltkrieges ausgegangen. Der Film versucht daraufhin, die historischen Ereignisse so zu erläutern, daß sie auch von jungen Menschen verstanden werden können. Dabei wird der Faschismus unter verschiedenen Aspekten, teils in seiner grausamen, teils in seiner banalen Alltäglichkeit gezeigt. Dabei wird auch Hitler auf die Ebene eines „Durchschnittsmenschen“ herabgestuft. Er wird von seinem erhöhten Platz gestoßen und auf eine Stufe mit seinen Landsleuten gestellt. In dieser Betrachtung wird nun nicht mehr das Volk dem Führer angepaßt und als ebensolches Monster gesehen, es wird auch keine klare Trennlinie mehr zwischen Hitler und Volk gezogen. Es wird verdeutlicht, wie lächerlich es ist, bedingungslos einer Person zu folgen, die selbst nicht besser als man selbst ist.

Schließlich werden verschiedene Facetten des deutschen, faschistischen Alltags thematisiert. Es geht um die „Kultur“ des Deutschen Reiches (Bücherverbrennungen, Fackelzüge), Rassentheorie, gemeinsames Eintopfessen als ideologische Klammer, die Künste (Ausstellungen mit Gemälden und Statuen Hitlers), Variete, Theater, Kinos, Familienszenen. Immer wieder werden ironisierende Bericht über Hitler zwischengeschaltet.

Plötzlich kippt der ironische Ton. Grausamkeiten und Greueltaten der faschistischen Schergen werden gezeigt: erhängte Partisanen, Aufnahmen aus KZ’s und Ghettos etc.

Schließlich werden kurze Kampfszenen zwischen Roter Armee und Wehrmacht eingespielt. Gefangene deutsche Soldaten werden durch Moskau geführt.

Romms Film beschließen Aufnahmen von Jugendlichen verschiedener Länder (u.a. aus der DDR), die eine emotionale Verbindung zu den am Anfang gezeigten Jugendlichen darstellen. Das Leben in den sozialistischen Ländern wird aber gleichzeitig ihn einen ideologischen Gegensatz gebracht zu Staatspolitik der USA und der NATO insgesamt, die auf Kriegstreiberei aus seien. Es soll verdeutlicht werden: Die Welt ist noch keine gemeinsame Welt, sie ist zerrissen und von Gegensätzen geprägt.

Die Lösung sieht Romm in der Projektion seiner Zukunftshoffnungen auf die ganz junge Genration, die Kinder. Es wird der Satz geprägt: Alle Kinder sind gut.

Ein kleines Mädchen erzählt eine Geschichte. Hier wird die Sehnsucht nach einem heilen Leben deutlich, die Hinführung aus der Zerrissenheit in die Einheit, die in den unschuldigen Kindern lokalisiert wird. Ein universelles Bild vom ursprünglich guten Menschen wird geschaffen, das Grenzen überwindet und alle Völker einschließt.

Bestimmte Facetten der deutsch-russischen Wechselseitigkeit spiegeln auch die Nachkriegsdokumentarfilme wieder, die sich entweder mit dem östlichen Teil Deutschlands auseinandersetzen bzw. über Staatsbesuche berichten. Hier kann man bestimmte, häufig wiederkehrende Darstellungskonventionen ausmachen, die beim Zuschauer entsprechende Reaktionen bzw. Emotionen auslösen sollen.

Als Beispiele seien hier betrachtet: „Zu einem neuen Deutschland“ (1947) und „Zu Gast bei deutschen Freunden“ (1959).

Die Stilmittel konzentrieren sich hier auf die Hervorhebung von drei „Säulen“, die im menschlichen Miteinander von zentraler Bedeutung sind: Hilfe, Liebe, Streben nach Vereinigung und Gemeinschaftlichkeit. Das Verhältnis zwischen Rußland und Deutschland wird von russischer Seite aus als ein Verhältnis vom Vater zu seinem Kind bzw. des älteren (großen) Bruders zu dem jüngeren gesehen. Besonders für den Nachkriegsdokumentarfilm (aber auch noch später) ist eine Visualisierung der sowjetischen Hilfe für Ostdeutschland zentrales Anliegen der Filmemacher: Sowjetische Solodaten, die Brot und Suppe ausgeben sind zentrale Motive, so auch im Film „Zu einem neuen Deutschland“. Man legt auch Wert auf Thematisierung der Aufbau-Hilfe, wobei es im gesamten Film sonderbar anmutet wie Tausende ehemaliger Rüstungsbetriebe in Deutschland gesprengt werden, anstatt sie auf Friedensproduktion umzustellen. Später wurden solche Szenen eliminiert bzw. geglättet. Man läßt dem „Sohn“ bzw. „Bruder“ auch einen rudimentären Schein von Freiheiten, um etwas den Eindruck von Dominanz und Besatzung zu vermeiden. Vom Kommentator wird immer wieder auf die Möglichkeiten von Selbstbestimmung und Selbstverwaltung hingewiesen.

Ein wichtiges Standartmittel, um eine emotionale Wirkung zu erreichen, ist die Erzeugung eine von Liebe und Harmonie: Hierzu dient die Stilisierung sämtlicher die DDR besuchender sowjetischer Staats- und Regierungschefs als Vaterfiguren.

Ein eindrucksvolles Beispiel ist auch der Filmbericht über einen Staatsbesuch Chruschtschows in der DDR in „Zu Gast bei deutschen Freunden“. Zentrale Szenen sind: Das Bad in der Menge, die Präsentation des Staatschefs inmitten einer Kinderschar, wobei der väterliche Aspekt besonders hervortritt.

Wichtig sind hier auch die Ansprachen, die appellativen Charakter haben, meist ähnlichen Inhalts. Die Sprache wird Instrument des Überzeugens, Treue und Verbundenheit werden beschworen. Typisch ist die variantenreiche Wiederholung relativ stereotyper Inhalte. Meist ist die Ansprache des Gastes länger als die der Gastgeber.

Ein weiteres Leitmotiv ist die Thematisierung von Einheit, Einheitsstreben und Vereinigung: Szenen, die meist am Ende des Films platziert sind und so gewissermaßen einen Höhepunkt in der filmischen Gestaltung repräsentieren. So auch im Film über Chruschtschows Besuch in der DDR. Man beschwor damals noch das Bestreben nach der Einheit Deutschlands, berichtete vom Vereinigungsparteitag zwischen KPD und SPD und skandiert immer wieder auf Verbrüderung der Arbeiterklasse beider Länder bzw. auch diese Partnerschaft überschreitende, allumfassende Parolen. Die Idee der Kommunarität, All-Einheit, Universalität, die aus der russischen Geistestradition stammt, findet transformiert hier erneut ihren Platz.

Visualisiert werden diese Ideale durch rote Fahnenmeere, Aufmärsche, Kundgebungen etc. Die ständige Wiederholung ähnlicher Parolen soll zur Identifizierung des Zuschauers mit dem Gezeigten führen.

Auch das Ende des Films über Chruschtschows DDR-Besuch ist typisch: Der Gast steigt in ein Flugzeug, das sich in die Lüfte erhebt. Eine Szene von großem symbolischem Wert: Flugzeuge dienten im 20. Jahrhundert als gängige Symbole des Fortschritts.

Alle Facetten der deutsch-russischen Wechselseitigkeit im russischen Dokumentarfilm darzustellen war an dieser Stelle natürlich nicht möglich. Im Mittelpunkt meiner Analyse standen auf der diesjährigen Leipziger Retrospektive gezeigte Filme.

Es sei an dieser Stelle nur noch kurz auf Hauptentwicklungstendenzen des sowjetischen Dokumentarfilms nach der Perestrojka verwiesen: Im Vordergrund stand zunächst die Aufarbeitung der eigenen, jüngsten, sowjetischen Geschichte, gefolgt von der Suche nach neuen historischen Perspektiven für Rußland: angefangen vom neuen Nationalismus, über Sowjetnostalgie bis hin zu imperialen Träumereien.

Die Geschichte des russischen Dokumentarfilms ist die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen noch lange nicht zu Ende geschrieben. Die eine wie die andere harrt ihrer weiteren Aufarbeitung und ist dabei ein ständig offenes Feld für neue Entdeckungen.


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1 Vgl.: Bulgakowa, O.: Film-Phantasien im Wettbewerb. In: Berlin – Moskau .1900-1950. Katalog zur Ausstellung. München – New York 1995, S. 361-366; Bulgakowa, O.: Die ungewöhnlichen Abenteuer des Dr. Mabuse im Lande der Bolschewiki. Das Buch zur Filmreihe „Moskau-Berlin“. Berlin 1995; Bulgakowa, O.: Krieg und Stil. In: Der Krieg gegen die Sowjetunion im Spiegel von 36 Filmen. Eine Dokumentation. Berlin 1992.

2 Mit Beiträgen u.a. von Maja Turowskaja, Peter W. Jansen, Ewgeni Margolit, Neja Sorkaja, Abraham Kletzkins, Schivile Pipnute.

3 Es sei auf folgende wichtige Untersuchungen verwiesen: Schlegel, H.-J. : Podrywnye strategii dokumentalnogo kino. K nekotorym aspektam istorii dokumentalnogo kino epochi realnogo socialisma. In: Sorkaja, N. (Hrsg.): Chudoschestwennjaja schisn Rossii 1970-ch godow. Issledowanija, materialy, dokumenty. Moskwa 2000, S. 235-252; Roberts, G.: Forward, Soviet! History and non-fiction film in the USSR. London 1999; Schlegel, H.-J. (Hrsg.): Die subversive Kamera. Zur anderen Realität in mittel- und osteuropäischen Dokumentarfilmen. Stuttgart 1999; Vischnewski, W.: Dokumentalnye filmy dorevoljucionnogo Rossii. Moskwa 1996; Etwas ist zu Ende: Dokumentarfilmdebatten in den letzten Jahren der UdSSR. Marburg 1992; Dokumentarfilm der mittelasiatischen Sowjetrepubliken. Berlin 1987; Sowremennyj dokumentalnyj film. Krititscheskie sametki. Problemy teorii. Is sobstwennogo optyta. Moskwa 1970; Klaue, W.; Lichtenstein, M.: Sowjetischer Dokumentarfilm. Berlin 1967.

4 Vertreter der „Formalen Schule“ wie, zum Beispiel, Wiktor Schklowski, Juri Tynjanow waren als Theoretiker, Kritiker, Drehbuchautoren und Redakteure in den Filmbetrieb integriert.

5 In diesem Zusammenhang ist auf den auch in Wertows Film spürbaren Einfluß des von Boris Ejchenbaum stammenden „Manifests der ‚Formalen Schule‘“ zu verweisen, der in seinem Aufsatz „Wie Gogols Mantel gemacht wurde“ (1919) auf die Entschlüsselung aller literarischen Methoden und Verfahren Wert legte, die den Text konstituieren.

6 Der Zuschauer erkennt dies an der deutschen Aufschrift B[ierhalle].

7 Im Jahre 1929 reist Wertow übrigens selbst nach Deutschland. Inwieweit sich hier sein Deutschlandbild bestätigt bzw. korrigiert wird, könnte Gegenstand weiterführender Untersuchungen ein.

8 Margolit, Ewgeni: Der Film als Neuschöpfung der Welt. In: Engel, Christine (Hrsg.): Geschichte des sowjetischen und russischen Films. Stuttgart – Weimar 1999, S. 25

9 Margolit, Ewgeni: Der sprechende Held im Dokumentar- und Spielfilm. In: Engel, Christine (Hrsg.): Geschichte des sowjetischen und russischen Films. Stuttgart – Weimar 1999, S. 55.

10 Vgl. u.a.: „Die Befreiung Berlins“ („Berlin, 1945/1967); „Die Befreiung Rügens“ („Oswoboschdenie Rjugena“, 1945); „Die Befreiung vom Faschismus“ („Oswoboschdenie ot faschisma“, 1945); „Die Befreiung von Potsdam“ („Oswoboschdenie Potsdama“, 1945); „Die Befreiung Dresdens“ („Oswoboschdenie Dresdena“, 1945); „Die Befreiungg Greifswalds“ (Oswoboschdenie Grejfswalda“, 1945).

11 Vgl. u.a.: „Letzte Briefe“ (Poslednie pisma“, 1968); „Der gewöhnliche Faschismus“ („Obyknowennyj faschism“, 1965); „Ewiges Gedenken“ (Pamjat nawsegda“, 1975); „Gericht der Völker“ („Sud narodwo“, 1946); „Der Große Vaterländische Krieg“ („Welikaja Otetschestwennaja wojna“, 1945); „Der Prozess von Berlin“ („Berlinskij Prozess“, 1947).

12 Vgl. z.B. „Zu einem neuen Deutschland“ (K nowoj Germanii“, 1947); „Demokratisches Deutschland“ („Demokratitscheskaja Germanija“, 1949); „Genosse Berlin“ („Towarischtsch Berlin“, 1969); „Zu Gast bei deutschen Freunden“ („W gostjach u nemeckich Drusej“, 1959); „Berliner Tage in Moskau“ („Dni Berlina w Moskwe“, 1979); „Ein Freundschaftstreffen“ („Druscheskaja wstretscha“, 1954); „Druschba-Freundschaft“ (1959); „Gastspiel der Komischen Oper in Moskau“ („Komische Oper w Moskwe“ (o.J.)

13 Interessant sind in diesem Zusammenhang die Filme über gemeinsame Reisen bzw. Expeditionen. Als Beispiel zu nennen wäre hier: „Pamir. Der Sockel des Todes“ („Pamir. Podnoschie smerti“, 1928).

14 Vgl. dazu: Der Krieg gegen die Sowjetunion im Spiegel von 56 Filmen. Eine Dokumentation (Red.: Oksana Bulgakowa und Dietmar Hochmuth). Berlin 1992, S. 46.