30.10.2011

Die Werke V. I. Kryzanovskajas

"Science Fiction" oder "okkulter Roman"



"Science Fiction" oder "okkulter Roman". Die Werke V. I. Kryžanovskajas.

In: Sondernummer zur 3. Tagung des Jungen Forums Slavistische Literaturwissenschaft in Salzburg September 1999.
In: Anzeiger für Slavische Philologie, Band XXVIII/XXIX, Graz/Austria 2001


Die Romane V. I. Kryžanovskajas (1857-1924) waren um die Jahrhundertwende bei einem am Übernatürlichen interessierten russischen Massenpublikum breit bekannt. Zu den populärsten gehörten ein Romanzyklus bestehend aus "Žiznennyj ėliksir" (1901); "Magi" (1902); "Gnev božij" (1910); "Smert' planety" (1911); "Zakonodateli" (1916) und die Romane "Na sosednej planete" (1903) und "V inom mire" (1910).

Diese Werke spiegeln einerseits das Interesse der Autorin für den Spiritismus wider, reflektieren andererseits aber auch die Begeisterung Kryžanovskajas für die Theosophie E. P. Blavatskajas. Sie bilden eine Mischung aus Phantastik, Science Fiction und literarischer Utopie auf dem Hintergrund einer am Okkultismus orientierten Weltanschauung, so daß sie ein für die russische Literatur jener Zeit untypisches Genre ergaben. Dies mag ein Grund dafür gewesen sein, daß sie trotz des Publikumserfolgs von der offiziellen Kritik ihrer Zeit fast völlig ignoriert wurden. Aus der Retrospektive begründet man diesen Umstand heute damit, daß die Autorin eine " … izolirovannoe položenie v literature …" (Rejtblat 1994: 174) inne hatte.

Kryžanovskaja selbst war darum bemüht, ihren Romanen einen besonderen Status zu verleihen, indem sie diese als "okkult" bezeichnete und sich damit bewußt von der zu jener Zeit ebenfalls verbreiteten phantastischen Literatur und Science Fiction abgrenzen wollte. Diese Selbstcharakterisierung ihrer Werke erscheint auch in gewisser Hinsicht begründet. Autoren, die Adepten einer okkulten Weltanschauung sind, stehen m. E. unter maßgeblichem Einfluß der sie inspirierenden Doktrin. Okkulte Systeme verlangen von ihren Anhängern üblicherweise nicht nur das rationale Erfassen der Lehre, sondern die Ausrichtung des gesamten Lebens nach diesen Ideen. Nicht zufällig waren okkulte Vorstellungen vor allem im russischen Symbolismus populär, der Lebensdeutung und Lebensweise im engen Zusammenhang sah und in dessen Kontext zahlreiche Autoren ihr Leben und Werk als Einheit, d. h. als eine Art Gesamtkunstwerk betrachteten.

Im folgenden soll untersucht werden, inwieweit sich wirklich gattungsspezifische Tendenzen eines als "okkult" zu definierenden Romans in Kryžanovskajas Werken ausmachen lassen.

Der nicht ganz unproblematische Terminus "okkulte Literatur" wird im Zusammenhang mit Kryžanovskaja sowohl von russischen als auch von amerikanischen Literaturwissenschaftlern verwendet. So lesen wir im neuesten russischen Schriftstellerlexikon:

"Kryžanovskaja stala, po suti, edinstvennym predstavitelem okkul'tnogo romana v Rossii." (Rejtblat 1994: 174). M. Carlson schreibt: "Kryzhanovskaia was a prolific and extremly popular writer of occult and historical popular fiction." (Carlson 1994: 538-539)

Ein Problem der hier von mir durchzuführenden Analyse besteht darin, daß die Gattung "okkulter Roman" bisher nicht zu den in der Literaturwissenschaft allgemein akzeptierten Fachtermini gehört. Auch die Literaturwissenschaftler, die ihn verwenden verbinden keine konkrete Gattungsbeschreibung damit. "Okkult" wird auch hier eher im Sinne einer weltanschaulichen Zuordnung des entsprechenden Autors genutzt. Allerdings ist dieser Umstand nicht allzu verwunderlich, wenn wir uns den wissenschaftlichen Umgang mit dem Gesamtgebiet dessen, was als "Okkultismus" bezeichnet wird, ansehen. Es existieren kaum allgemein akzeptierte Grundlagen für die Einordnung der "okkulten Weltanschauungen" in unsere westlichen Denkkonzepte. Deshalb ist auch von der Literaturwissenschaft schwerlich zu erwarten, daß sie hier für ein noch in den letzten Jahren weitgehend tabuisiertes Gebiet die Vorreiterrolle übernimmt.

Produktiv erscheint es mir, die Romane Kryžanovskajas zu jenen Gattungen in Beziehung zu setzen, zu denen sie deutliche Parallelen aufweisen. Von den oben genannten, phantastische Literatur, literarische Utopie und Science Fiction, scheint vor allem letztere ein gängiges Analysemodell für die Romane Kryžanovskajas zu bieten.

Science Fiction als literarisches Phänomen bildete sich etwa seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts heraus, wobei die Romane Jules Vernes als von grundlegender Bedeutung angesehen werden können. Damit ist zunächst auf der chronologischen Achse hinsichtlich der Entstehungszeit eine Verbindung zu dem ebenfalls seit Mitte des 19. Jahrhunderts in eine neue Qualität eintretenden Okkultismus zu sehen.

Als Begriff etablierte sich "Science Fiction" allerdings erst in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts, wobei eine ernsthafte literaturwissenschaftliche Beschäftigung seit den letzten beiden Jahrzehnten einsetzte. Im Zuge dieser Auseinandersetzung kam es auch erst allmählich zur Herauslösung der Science Fiction aus dem Kanon der phantastischen Literatur, die von einigen Theoretikern noch vor einigen Jahren als indiskutabel erachtet wurde. Inzwischen konnte aber eine Reihe ernstzunehmender theoretischer Arbeiten die Möglichkeit der Etablierung der Science Fiction als eigenständige Gattung beweisen.

Insgesamt sind in der Forschung zwei Tendenzen auszumachen, wobei die eine strukturell orientierte Analysen bietet und die andere Kriterien inhaltlich-stofflischer Art (bestimmte Themenbereiche, Motivkataloge u. ä.) favorisiert, um ihren Untersuchungsbereich einzugrenzen. Allerdings kann es nicht meine Aufgabe sein, die Diskussion zugunsten der einen oder der anderen Richtung entscheiden zu wollen, so daß bei meinen folgenden Ausführungen sowohl Kriterien inhaltlich-stofflischer als auch struktureller Art herangezogen werden.

Zuerst sollen Parallelen der okkulten Romane Kryžanovskajas zur Science Fiction festgestellt werden.

Folgende Besonderheit ist für die Science Fiction charakteristisch: " … ihre Darstellungsintentionen zielen dafür allesamt auf die Beglaubigung einer realen, materiellen Existenz des Illusionären." (Puschmann-Nalenz 1986: 107) Der Science-Fiction-Rezipient muß ebenso wie der Leser des okkulten Romans einsehen, "daß es sich bei der dargestellten Welt um eine andere als die ihm bekannte handelt, und er muß gleichzeitig akzeptieren, daß diese andere Welt denselben Status besitzt wie die empirisch erfahrbare." (Puschmann-Nalenz 1986: 105)

Die dargestellte Welt kann als in die Zukunft oder an einen anderen Ort projizierte Realität gesehen werden. Dabei geht Kryžanovskaja in ihren okkulten Romanen genauso vor wie es für die Science Fiction symptomatisch ist. Die Darstellung wird auf die "dinglichen" Komponenten der fiktiven Welt, wie sie Ort, Handlung und Protagonist repräsentieren, konzentriert. Dabei wird meist sehr naturalistisch verfahren.

Kryžanovskaja war stets sehr darum bemüht, die andere Welt für den Leser so vertraut wie möglich zu machen. So unterschieden sich, zum Beispiel, die Marsbewohner in "Na sosednej planete" nur unwesentlich von ihren irdisch-menschlichen Pendants. Sie verfügen über denselben Appetit, Freude an komfortablen Wohnungseinrichtungen etc. Nur ihre okkulten Kräfte sind höher entwickelt, als die der Erdlinge, weswegen sie diese durch schnelle Fortbewegungsmittel, Prognosen, innovatorische Kommunikationsarten (u. a. eine Art mechanisierte Telepathie) in Erstaunen zu versetzen wissen. Es wird viel Wert darauf gelegt, diese "Errungenschaften" so rational plausibel wie möglich zu verdeutlichen und ihr Funktionieren auf okkulter, teilweise ins technische oszillierender Grundlage zu erläutern.

Rationale Begründbarkeit der Geschehnisse ist ein weiteres wichtiges verbindendes Merkmal zwischen okkultem Roman und Science Fiction, denn auch der "wissenschaftliche Okkultismus" wie ihn die Theosophie als Grundlage propagierte, setzt vor allem auf rationale Begründbarkeit, der für die "unwissende Menschheit" übernatürlich anmutenden Phänomene.

Wie die Science Fiction die Macht der Wissenschaft teilweise so ausschließlich setzt, daß sie zu einer neuen Religion avanciert, erhebt der okkulte Roman die okkulten Kräfte, die auch als real existierende Naturkräfte verstanden werden, zu allgemeinen Schicksalgesetzen für Mensch und Planeten.

Es existieren bestimmte Themen, Motive, Figuren und Handlungsmuster, die eine deutliche Annäherung des "okkulten Romans" Kryžanovskajas an die Science Fiction evident werden lassen. Die wichtigsten davon sollen im folgenden näher erläutert werden.

Sichtbare Übereinstimmungen ergeben sich hinsichtlich des Heldentypus, den bei Kryžanovskaja genau das auszeichnet, was Innerhofer (1996: 24) für den positiven Helden des Science-Fiction-Romans reklamiert: Kaltblütigkeit, Geistesgegenwart, Organisationstalent, Mut, Treue, Großzügigkeit, Opferbereitschaft. Oft wird der Versuch unternommen, eine Führerpersönlichkeit zu gestalten, die die besonders um die Jahrhundertwende populäre Vorstellung vom zu erwartenden Übermenschen evoziert. Das Schema der Vorstellung von der unaufhaltsamen Höherentwicklung wurde auf den Menschen übertragen und in einzelne Vertreter inkarniert. Der Ingenieur bzw. Techniker aus dem Science-Fiction Roman sind genau wie der Magier aus dem "okkulten Roman" dazu berufen, Vorbild und Führer zu sein. Der in der Gesellschaft spürbare Modernisierungsschub führte zu einer Veränderung des traditionellen Menschenbildes. Dabei steht in der Science Fiction wie auch im okkulten Roman nicht das für den Helden früherer Literaturepochen oft so unabdingbare wie charakteristische Messen der körperlichen Kräfte im Mittelpunkt, auch weniger die geistige Auseinandersetzung im Sinne eines ausgeklügelten Streitgesprächs, sondern das Beherrschen einer bestimmten Technik. In der Science Fiction handelt es sich dabei um naturwissenschaftliche Errungenschaften (Maschinen etc.). Im okkulten Roman geht es um das Beherrschen okkulter Techniken wie kabbalistischer Formeln, magischer Instrumente etc.

Das Innere des Menschen wird "veräußerlicht". Damit fehlen diesen Menschen aber auch oft typisch "menschliche Eigenschaften" wie Wärme, Herzensgüte, Mitleid. Seelische Qualen und unkontrollierte Leidenschaften sollen weitgehend eliminiert werden. Nicht umsonst spricht in Kryžanovskajas Roman der oberste Magier Ėbramar mit angenehm metallisch klingender Stimme. Eine technikbetonte Entemotionalisierung gilt auch hier als Zeichen fe Fiction und okkulter Roman betonen gleichzeitig die Notwendigkeit des kühlen, rationalen Kalkulierens.

Mit dem damit als idealtypisch proklamierten Menschenbild werden Vorstellungen von einer idealen Gesellschaft verbunden und ein Herrschaftsanspruch der Zivilisation über die "Wilden" postuliert. Daß es sich in der Science-Fiction-Literatur dabei um eine noch zu schaffende, in der Gegenwart beginnende und in der Zukunft zu vollendende Zivilisation handelt und Kryžanovskajas Werken, theosophischen Postulaten folgend, um eine Orientierung an einer im "goldenen Zeitalter" angeblich bereits vorhanden gewesenen, doch entschwundenen Zivilisation, die es zu revitalisieren gelte, kann nicht als grundlegender Unterschied zwischen Science Fiction und okkultem Roman angesehen werden. Begründet wird aus diesen Prämissen heraus ein sowohl in der Science Fiction als auch im okkulten Roman Kryžanovskajas gern thematisierter "interplanetarischer Kolonialismus".

Innerhalb dieser Weltentwürfe finden sich in Science Fiction und okkultem Roman gleichermaßen auftretende Motive wie: Flugmaschinen aller Art, Interesse für andere Planeten, Reisen in Zukunft und Vergangenheit, die Entstehung neuer Kommunikationsmittel.

Dabei erscheinen mir die Zukunftsvisionen von besonderem Interesse. Einerseits gehen okkulte wie technische Zivilisationsentwürfe oft einher mit Katastrophenglauben und Apokalyptik. Die Unsicherheit, was die noch nicht in einer längeren Tradition über einen größeren historischen Zeitraum erprobten Kräfte anrichten könnten, ist sehr stark. Dem wirkte man durch die für den "okkulten Roman" wie die Science Fiction gleichermaßen charakteristischen Detailschilderungen entgegen. Es vermittelt einen kuriosen Eindruck, daß die "Nautilus" Jules Vernes oder Flugobjekte bei Kryžanovskaja eingerichtet sind wie bürgerliche Behausungen des 19. Jahrhunderts: üppig, komfortabel, mit Bibliothek, Wohn- und Schlafräumen, verschiedenen Nippsachen. Damit sollte die Unsicherheit der Innovation durch Einbindung in einen wenigstens optisch vertrauten Rahmen relativiert werden.

Abschließend sei noch festgestellt, daß sowohl bei okkultem Roman als auch bei der Science Fiction das Neue des Inhalts oft mit einer absoluten Schablonenhaftigkeit der Form kontrastiert.

Die Hauptdifferenz zwischen Science Fiction und okkultem Roman läßt sich zweifellos auf die Unterschiede zwischen Wissenschaft und Okkultismus zurückführen. Die Science Fiction nutzt für ihre Prognosen, Zukunftsentwürfe etc. als Grundlage generell das, was als Ergebnis wissenschaftlicher Forschung bereits anerkannt ist oder was von dem jeweils zeitgenössischen Wissensstand ausgehend in Zukunft an Erscheinungen denkbar wäre. Nicht zufällig gab es sogar Science-Fiction-Theoretiker, die die Legitimation des Genres aus dem Vergleich mit der tatsächlich gelungenen adäquaten Darstellung wissenschaftlicher Tatsachen bzw. wissenschaftlicher Zukunftsprognosen ableiten wollten. Für den uns hier interessierenden Zeitraum der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert waren es vor allem Mathematik, Physik (bes. Mechanik) und Chemie (weniger die Biologie), die als Grundlage der erweiterten Weltdeutung herangezogen wurden. Ziel vieler Science-Fiction-Autoren war es, genauso wissenschaftlich wie die Wissenschaft zu sein.

Eine andere Grundlage verbindet sich mit dem Okkultismus.

Dieser definiert sich selbst auch gern als Wissenschaft, als einzig wahre Wissenschaft etc. Gleichzeitig aber hat er eine sehr kritische Einstellung allem gegenüber, was offiziell als Wissenschaft anerkannt ist. Der theosophische und anthroposophische Okkultismus präsentierte sich als Wissenschaftsäquivalent und war bestrebt, die Welt dabei ebenso rational zu erklären, wie es die offiziell anerkannte wissenschaftliche Methode gebot. Als Hauptweg, um zur praktischen Einwirkung auf Naturkräfte zu gelangen, wurde dabei die Magie angesehen. Diese wollte ihre Richtigkeit mit Hilfe einer jahrhundertealten Tradition begründen, die man vor allem im alten Indien, Griechenland, Ägypten, Tibet etc. zu lokalisieren suchte. Sie behauptete dabei in der Lage zu sein, gewaltigere und wirksamere Energien zu entfesseln, als es die offizielle Wissenschaft jemals in der Lage wäre, zu können. Zu solchen Kräften zählte, zum Beispiel, die im Okkultismus viel zitierte und beschriebene Kundalini-Energie.

Ein weiterer Unterschied zwischen okkultem und wissenschaftlichem Denken ist für den gegebenen Zusammenhang von großer Relevanz. Dieser besteht in der Vorstellung, wie man mit Naturkräften umgehen solle bzw. welche Mittel man überhaupt anwenden solle, um solche in Bewegung zu setzen. Hier kommt dem Menschen eine zentrale Stellung zu und es ergibt sich auch ein Unterschied in der Menschenkonzeption, die in Science Fiction und okkultem Roman verschieden ist.

Das von der Science Fiction verbreitete Bild des Wissenschaftlers repräsentiert meistens eine Persönlichkeit, die die Eigenschaften der Materie studiert, klassifiziert und mittels empirischer Untersuchung und rationaler Theoriebildung zu ihren Ergebnissen kommt. Die Materie ist dabei der Stoff, den der Wissenschaftler von außen betrachtet, untersucht und schließlich verändert. Die dabei oft gestaltete neue Art von Materie (z. B.: Maschine) dient ihm dann wiederum dazu, noch weiter in die erstere einzudringen und sie noch effizienter seinen Bedürfnissen entsprechend umzugestalten.

Der Okkultist aber bezieht in sein Studium der Materie deren mitgedachte unsichtbare, aber dennoch vorhandene Ausprägung des Geistes bzw. das Metaphysische mit ein. Man könnte es auch so sagen, daß der Okkultismus eine Wissenschaft etablieren möchte, die auch eine religiöse Funktion hat. Das Göttliche soll mit der Natur zusammen erforscht werden. Wenn man davon spricht, daß auch die Naturwissenschaft ein Religionsersatz ist, so doch vor allem im Sinne des Glaubens an ein unfehlbares höheres Prinzip, welches aber das Göttliche schon weitgehend aus dem Leben selbst verbannt hat.

Der Okkultismus geht auch davon aus, daß bestimmte okkulte Kräfte, ohne eine bestimmte spirituelle Entwicklung des jeweiligen Magiers auch nicht in Bewegung gesetzt werden könnten.

Die Entwicklung dieser für die Ausübung von Magie notwendigen Spiritualität hat oft etwas mit Unterdrückung von Leidenschaften, Ausschalten jeglicher sexueller Obsessionen, Vermeiden unkontrollierter Gefühlsausbrüche zu tun. Es wird, zum Beispiel, empfohlen seinen Astralleib zu reinigen, Schweigeübungen zu machen, seinen eigenen Magnetismus vor dem anderer zu schützen, indem man niemanden die Hand reicht u. ä. Wer sich dieser Art Entwicklung unterzieht, kann mit baldigem Erfolg rechnen. Er kann aus eigener Kraft die Natur verändern und benötigt dazu, im Vergleich zur Naturwissenschaft, nach Umfang und Anzahl relativ wenige technische Hilfsmittel. Im Prinzip kann also jeder zum Magier werden.

Aus den unterschiedlichen Weltverständnissen von Wissenschaft und Okkultismus ergeben sich Differenzen hinsichtlich des gestalteten Universums in Science Fiction und okkultem Roman. Science Fiction kennt wie die phantastische Literatur hinsichtlich der Gestaltung zukünftiger Welten eigentlich keine Grenzen. Die Spekulationen können (und sie tun es häufig auch) den Bereich der wissenschaftlich abgesicherten Hypothetik verlassen und in das Reich der unbegrenzten Möglichkeiten überwechseln. Die okkulten Romane aber müssen sich an die Grenzen des okkulten Weltmodells halten, was eventuell ein Grund für deren Schemahaftigkeit, Begrenzung der Handlungslinien, Motive etc. sein könnte.

In Kryžanovskajas Romanen können zwar Riesen mit drei Augen auftreten, wie sie die Theosophie für eine bestimmte Epoche der Menschheitsentwicklung als charakteristisch ansieht. Niemals aber werden wir sprechende Tiere finden (höchstens sich telepatisch verständigende), da die menschlich-sprachliche Artikulation laut Theosophie als typisch menschliche Eigenschaft zu keinem Zeitpunkt der Entwicklung für Tiere zugetroffen hat bzw. zutreffen wird. Ebensowenig könnte die Erde plötzlich von zwei Sonnen beleuchtet werden oder Venus und Mars am Himmel ihre Plätze tauschen, da dies den theosophischen Ideen von Aufbau und Entwicklung des Universums widerspräche.

Es gibt an sich auch nichts neu zu entdecken, sondern höchstens etwas in ferner Vergangenheit bereits Existierendes wiederzuentdecken.

V. I. Kryžanovskajas Romane kann man nun einerseits dem Bereich der Science Fiction zuordnen, da es hier grundlegende Übereinstimmungen gibt. Es existieren aber auch Unterschiede, die sich vor allem aus den verschiedenen Weltmodellen ableiten lassen, auf denen einerseits die Wissenschaft und andererseits der Okkultismus fußt, so daß sich Spezifika der Romane Kryžanovskajas ergeben, die die Bezeichnung "okkult" in gewisser Weise rechtfertigen.

Das Vorhandensein einer Gattung oder Untergattung "okkulter Roman" ließe sich aber nur auf einer breiteren Textgrundlage, die mehrere Autoren umfassen würde, feststellen und ist aus dem hier analysierten, auf einer Autorin begrenzten Material nicht abzuleiten. Hier wären in der Perspektive also durchaus noch offene Forschungsfelder zu erschließen.


Literaturliste:

Barmeyer, E. (Hrsg. ) (1972): Science Fiction. Theorie und Geschichte. München.

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Kryžanovskaja, V. I. (1902): Magi. St. Peterburg.

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Kryžanovskaja, V. I. (1911): Smert' planety. St. Peterburg.

Kryžanovskaja, V. I. (1916): Zakonodateli. Peterburg.

Kryžanovskaja, V. I. (1903): Na sosednej planete. St. Peterburg.

Kryžanovskaja, V. I. (1910): V inom mire. St. Peterburg.

Ledkovsky, M; Rosenthal, Ch.; Zirin, M. (Ed.) (1994): Dictionary of Russian Women Writers. Westport, Connecticut, London.

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