31.10.2011

Literatur und Theosophie

B. Seidel-Dreffke: Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die Theosophie E. P. Blavatskajas. Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, Vs. S. Solov'ev). Habilitation.Russische Literatur und Theosophie



Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts 
und die Theosophie E. P. Blavatskajas. 
Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, 
Vs. S. Solov'ev). Habilitation. *

HAAG+HERCHEN Verlag GmbH, Frankfurt a. M., 2004


Buchvorstellung:

Björn Seidel-Dreffke: Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die Theosophie E. P. Blavatskajas. Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, Vs. S. Solov'ev).
Frankfurt a. M. 2004. 612 Seiten. Paperback. ISBN 3-89846-308-7.

Die Theosophie Elena P. Blavatskajas (oder H. P. Blavatskys, wie sie in Westeuropa und in Amerika genannt wird) stellt seit über hundert Jahren ein in esoterischen Kreisen viel diskutiertes, in der etablierten Wissenschaft aber noch kaum beachtetes Phänomen der internationalen Geistesgeschichte dar.
Dabei verliefen Rezeption und Wirkung der theosophischen Lehre bei Schriftstellern, Künstlern, Philosophen gerade in gesellschaftlichen und ideologischen Umbruchphasen durchaus sehr intensiv.
Einen besonderen Höhepunkt dieser Entwicklung markierte die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in Russland. Sowohl etablierte Schriftsteller als auch Autoren aus dem Bereich "Unterhaltungsliteratur" wurden von Ideen und Gedanken E. P. Blavatskajas inspiriert.

Vorliegende Untersuchung will sowohl Grundmuster der theosophischen Lehre kritisch beleuchten, als auch deren Wirkung und Wirkmechanismen in der russischen Literatur des Jahrhundertbeginns reflektieren.

Die Arbeit wurde im Juni 2004 als Habilitationsschrift an der Universität Halle verteidigt.

HAAG+HERCHEN Verlag GmbH * Fuchshohl 19a * D-60431 Frankfurt a. M.


Pressemitteilung:

Pressemitteilung vom 29. April 1997

Förderung des Hochschullehrer-Nachwuchses in den neuen Ländern
 Volkswagen-Stiftung gibt 12 Millionen Mark

Hannover (vws) Einunddreißig Nachwuchswissenschaftlerinnen und - wissenschaftler aus Ostdeutschland können sich in den nächsten Jahren konzentriert ihren geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Studien widmen und ihre Eignung als künftige Hochschullehrer unter Beweis stellen. Zur Finanzierung entsprechender Mitarbeiterstellen hat die Volkswagen-Stiftung ostdeutschen Hochschulen 12,1 Millionen Mark zur Verfügung gestellt.

Im Jahre 1995 hatte das Kuratorium der Stiftung beschlossen, ein spezielles Habilitationsprogramm für die neuen Bundesländer zur Förderung des Hochschullehrer-Nachwuchses in den Geistes-, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften einzurichten, um so einen Beitrag zur Sicherung und Stärkung von Forschung und Lehre an den ostdeutschen Hochschulen zu leisten. Zu zwei Bewerbungsterminen (das Programm ist inzwischen beendet) gingen bei der Stiftung insgesamt 67 Bewerbungen von 12 Universitäten ein. Nach sorgfältiger Prüfung der Anträge durch einen fachübergreifend zusammengesetzten Gutachterkreis konnten 31 Bewerber sich über eine Zusage freuen.

Die erfolgreichen Bewerber kamen von der Humboldt-Universität zu Berlin (6), den Technischen Universitäten Chemnitz-Zwickau (3) und Dresden (3), der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder, den Universitäten Greifswald, Halle-Wittenberg (3), Jena (2), Leipzig (8), Potsdam (3) und Rostock. Besonders erfreulich war die ausgeglichene Verteilung nach Geschlechtern: 16 Nachwuchswissenschaftler und 15 Nachwuchswissenschaftlerinnen erhalten eine Stelle, in der Regel für vier Jahre.

Die Themen, denen sie sich widmen wollen, sind vielfältig, wie einige Beispiele belegen:
• Die Staatsaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland
• Literarische Aneignungen der Bürokratie - Semiotische Studien zur Kultur der Moderne
• Israel und Nahost versus Israel in Nahost
• Die Poetik der Slawophilen im Rußland des 19. Jahrhunderts
• Urbaner Konsum im 20. Jahrhundert
• Grenzüberschreitende Strategien bundesdeutscher Unternehmen bei der Ost-West-Integration
• Kulturkritische Strategien in postmoderner Frauenlyrik der USA.

Kontakt: Priv.-Doz. Dr. Axel Horstmann, Tel.: (0511) 8381-214
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Copyright: Volkswagen-Stiftung


Presse:

26. April 1997


Volkswagenstiftung vergibt 800 000 Mark

Die Volkswagen-Stiftung fördert mit rund 800 000 Mark zwei Forschungsvorhaben an der Universität Potsdam: Historiker Dr. Burghard Ciesla erhält 409 000 Mark für seine Habilitationsarbeit über "Eisenbahner und Eisenbahnpolitik. Zur Sozialgeschichte der Deutschen Reichsbahn im geteilten Berlin 1945-1990". Dem Slavisten Dr. Björn Seidel-Dreffke wurden 385 200 Mark zugesprochen für seine Arbeit über "Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die Theosophie E.P. Blavatskajas". vs
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© Berliner Morgenpost 1997


Auszüge:



* Diese Arbeit wurde von der Volkswagen-Stiftung unterstützt.




   

Literatur und Theosophie 2

B. Seidel-Dreffke: Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die Theosophie E. P. Blavatskajas. Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, Vs. S. Solov'ev). Habilitation.Russische Literatur und Theosophie
Konzeption zur Habilitation



Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts 
und die Theosophie E. P. Blavatskajas. 
Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, 
Vs. S. Solov'ev). Habilitation.

HAAG+HERCHEN Verlag GmbH, Frankfurt a. M., 2004


Auszüge:





Auszug aus der Konzeption zur Habilitationsarbeit

Universität Potsdam/Institut für Slavistik
Postfach 60 15 53
14415 Potsdam


Die russische Literatur der Jahrhundertwende und die Theosophie E. P. Blavatskajas

Diese Arbeit wird von der Volkswagen-Stiftung unterstützt.

Problemstellung und wissenschaftliche Relevanz der Thematik

Theosophie (griech.) bedeutet ursprünglich Gottesweisheit, das heißt Erlangen eines höheren Wissens von Gott durch unmittelbares Erkennen und Erleben. In diesem weiteren Sinn wurde der Begriff Thesophie gern für verschiedenen von mystischen Autoren geprägte Systeme gebraucht (z. B. bei J. Böhme, E. Swedenborg u. a.) Gemeinsames Merkmal der Konzepte ist die Suche nach einem organischen, synkretistischen Weltverständnis.

Das theosophische Weltbild, um welches es in der vorliegenden Untersuchung gehen soll, bezeichnet ein im 19. Jahrhundert von der Russin E. P. Blavatskaja begründetes als relativ autonomes Denkmodell anzusehendes System. Die von E. P. Blavatskaja vor allem in ihren beiden Hauptwerken "Isis Unveiled" (1877) und "The secret Doctrine" (1888) formulierte Doktrin erhebt den Anspruch mindestens drei Wissens- bzw. Glaubensgebiete zu vereinen: nämlich Philosophie, Religion und Wissenschaft. Die Quellen, aus denen Blavatskaja für die Konstruktion ihrer Lehre schöpft sind dabei sehr vielfältig. Als besonders wichtig erwiesen sich die Kabbala, Hermetik, Gnostik, Alchemie, Überlieferungen antiker Mysterienkulte. Aber auch philosophische Systeme standen Pate, so der Platonismus, der Neoplatonismus, der Pythagoreismus, die mittelalterliche spekultative Mystik und der französische Okkultismus. Entscheidend ist der enge Bezug zum östlichen Denken (vor allem zum Buddhismus), der das gesamte Konzept prägt.

Trotz teilweise verwickelter Symbolik und Sprache tritt uns letztendlich ein konsequent strukturiertes Denksystem entgegen.

Umfassenste Grundlage des theosophischen Synthesegedankens bildet die Vorstellung von der All-Einheit der Welt. Danach hat sich alles, was existiert ursprünglich von einer als "göttliche Urflamme" zu bezeichnenden Basis abgespalten. Die Welt zerfiel in einzelne Teile, die nach genau festgelegten Gesetzen strukturiert ist. Nach Durchschreiten vielfältiger Entwicklungsstufen finden die Wesen schließlich in diese Einheit zurück. Die All-Einheit ist aber erst auf der höchsten Stufe für den Einzelnen erlebbar.

Um den Wert des Lebens richtig zu schätzen und eine alle Lebewesen gleichermaßen umfassende Achtung zu entwickeln, ist es notwenidg, sich immer die Verbindung mit der All-Natur vor Augen zu führen. Auf dem Wege zur Wiedervereinigung mit dem All-Einen kommt dem Menschen erstrangige Bedeutung zu. Ihm wird es als erstem möglich sein, sich wieder mit dem göttlichen Urgrund zu verbinden. Derjenige, welcher diesen Zustand vollkommenen Bewußtseins erreicht hat, wird zum Gottmenschen. Dieser vereint sein hochentwickeltes Eigenbewußtsein mit dem göttlichen All-Bewußtsein. Dabei kommt es nicht zur Auslöschung der Individualität, sondern zu deren höchstmöglicher Entfaltung, die allerdings nur in vollkommener Harmonie mit allen anderen zu erreichen ist.

Theosophie versteht sich hier als ein System, das einen persönlichen Gott ablehnt, ohne auf das Göttliche zu verzichten. Gott wird im Prinzip als die Urflamme, die ursprüngliche Einheit des All-Bewußseins verstanden, aus der alles emanierte und in die alles zurückkehren wird. Die Theosophen gehen davon aus, daß diese Urflamme, die immanente und transzendente Gottheit des Universums keine Attribute haben kann. Einen Gott, der als Person denkbar und gleichzeitig absolut sei, dürfe man sich nicht darunter vorstellen. Innerhalb der geistigen Hierarchie existieren auf den verschiedenen Stufen allerdings immer bewußtseinsmäßig weiterentwickelte Wesen, die den weniger Entwickelten wie Götter vorkommen und auch als solche qualifiziert werden.

Ihre Grundkonzeption erläutert Blavatskaja in einem grandiosen, verschiedene Weltepochen uzmfassenden Entwurf, der die kosmische und menschliche Entwicklung gleichermaßen einbezieht. Dabei liefert sie sehr viel Information über Geschichte, Legenden, Symbolik des Altertums, gepaart mit Hinweisen auf neuste wissenschaftliche Entdeckungen. Angestrebt wird ein alle Bereiche menschlichen Seins in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfassendes Weltbild.

Göttliche Weisheit, Gottfindung, Gottmenschentum, Überwindung der Spaltung, Harmonie, Interesse für alte Überlieferungen, ferne Länder, der Hauch des Geheimnisvollen, Möglichkeiten der Erarbeitung völlig neuer Visionen von Mensch und Gesellschaft - die Theosopie hatte in ihrem Arsenal ein breites Spektrum von Fragestellungen, die die durch eine forcierte Sinnsuche gekennzeichnete Gesellschaft der Jahrhundertwende in ihren Bann zu ziehen begann.

Nicht nur in Westeuropa, sondern auch in Rußland war die Intelligenz bestrebt, die Grenzen, die durch das wissenschaftliche, atheistische, materalistische Denken, durch die ausschließliche Bezugnahme auf die Erscheinungswelt der Erkenntnis gesetzt wurden, zu überwinden und zum Wesen der Dinge vorzudringen. Der seit der Aufklärung die europäische Geistesgeschichte vor allem prägende Rationalismus hatte im Verständnis vieler Schriftsteller und Philsophen zu einer Atomisieriung und Zerstückelung von Denken und Gesellschaft geführt, die überwunden werden müsse. Die bis dahin als vor allem sinnstiftend betrachtete chrsitliche Kirche verlor zumindest als Institution für viele Intellektuelle den Stellenwert, wirklicher Träger geistiger und gesellschaftlicher Erneuerung sein zu können. Man wollte Gott neu entdecken, das Chrsitentum neu beleben oder Impulse aus Jahrtausendene alten, aber inzwischen fast völlig vergessenen Überlieferungen beziehen.

Diesen Drang nach Visionen konnte die Theosophie, aufgrund ihrer Universalität, wenigstens auf den ersten Blick sehr gut befriedigen. Sie wurde damit in Europa und etwas verspätet auch in Rußland zu einer wichtigen Instanz, die die geistige Landschaft nachhaltiger beeinflußte, als oft dargestellt und zugegeben wird. In Rußland bildeten sich schon lange vor der Gründung der "Rossijskoe Teosofičeskoe Obščestvo" (1908) kleinere theosophische Gesprächskreise heraus, die ungefähr dieselbe Wirkung auf das geistig-kulturelle Leben hatten, wie die literarischen Salons im 18. und 19. Jahrhundert. Spätestens nach der Gründung der Russischen Thesosphischen Gesellschaft gab es dann theosophische Zirkel bzw. Sektionen nicht nur in den Zentren Moskau und Petersburg, sondern auch in der Provinz, z. B.: in Kaluga, Jalta, Rostov am Don, Riga, Poltava, Jaroslavl', Kiev. Die Arbeit dieser Gemeinschaften trug auch sehr rasch Früchte, so daß wir im Rußland der Jahrhundertwende eine ganze Reihe von Künstlern und Literaten haben, die sich entweder intensiv mit dem Phänomen Theosophie auseinandersetzten, bzw. sich zuerst dafür interessierten und dann scharf mit ihr polemisierten oder sogar zu Adepten E. P. Blavatskajas und ihrer Lehre wurden. Einige Beispiele sollen das verdeutlichen.

Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann das literarische Interesse an den Ideen E. P. Blavatskajs vor allem bei den sogenannten "Literaten der zweiten Garnitur" einen ersten Niederschlag zu finden. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang Vs. Solov'ev und V. Kryžanovskaja. Das an Exotik und Geheimnisvollen gleichermaßen interessierte Massenpublikum erhielt hier einen ersten Eindruck vom theosophischen Gedankengut, das allerdings durch einen extrem subjektivistischen Zugang der einzelnen Autoren vermittelt wurde.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden wir "theosophische Spuren" bei den inzwischen auf das Phänomen aufmerksam gewordenen, die Literatur entscheidend prägenden Autoren. Dabei war das Spektrum der Art der Auseinandersetzung sehr breit. So haben wir es beim Altmeister des Realismus in Rußland L. N. Tolstoj mit einem kritischen Interesse zu tun. Tolstoj war eine Zeitlang Abonnent einiger europäischer Theosophischer Zeitschriften und wurde noch kurz vor seinem Tod ein Leser des russischen "Vestnik teosofii". Er las verschiedene Schriften östlichen Denkens, die unter maßgeblicher Beteiligung der theosophschen Gesellschaft übersetzt worden waren und interessierte sich nachweislich auch für die Schriften von E. P. Blavatskaja selbst. Aus ihrem Buch "The voice of the silence" übernahm er sogar einige Aphorismen in seinen Sammelband "Na každyj den'". Obwohl er auch mit führenden russischen Theosophen persönlich bekannt war, blieb seine Haltung gegenüber der theosophischen Lehre bis zuletzt distanziert kritisch. Eine entscheidene Wirkung auf seine Schriften läßt sich nicht ausmachen, wenn man über die grundsätzlich positive Einstellung zu bestimmten Postulaten östlichen Denkens (wie etwa dem Bösen keinen Widerstand mit Gewalt leisten zu wollen) hinausgehen will.

Tiefgreifender und nachhaltiger sind demgegenüber die Wirkungen, die das theosophische Denken auf eine sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Rußland neu konstituierende literarische Richtung ausübte. Gemeint ist der russische Symbolismus. In diesem Zusammenhang wären zum Beispiel zu nennen: K. Bal'mont, N. Minskij, M. Vološin, A. Belyj, A. Blok, A. Remizov, V. Ivanov. Dabei ist bei einigen von ihnen in der Rezeption theosophischen Gedankengutes eine Zäsur auszumachen, in Form des Bruchs mit der von E. P. Blavatskaja mehr dem östlichen Denken verpflichteten Theosophie und eines Übergangs zur von R. Steiner aus theosophischen Prämissen entwickelten, sich auf westliche Denktraditionen berufenden Anthroposophie. Dennoch kann man von einer den russischen Symbolimus stark beeinflussenden theosophischen Wirkung sprechen, die bisher so gut wie nicht erforscht ist.

Diese Breite des Wirkungsimpulses hängt sicher damit zusammen, daß das Weltbild im russischen Symbolismus mehr als bei anderen literarischen Richtungen zu einem Faktor literaturwissenschaftlicher Relevanz wird, "da das Weltbild in diesem besonderem Fall, die Vielfalt der künstlerischen Bildsymbole generiert."(G. Langer, 1988, 25). Gerade der Entwurf eines neuen Weltverständnisses ist es ja, der von der Thesopischen Lehre angestrebt wird, wobei alle Seiten menschlicher Interessen (von der kosmischen bis zur menschlichen Evolution) abgedeckt werden sollten. Gerade für den Symbolismus so zentrale Bilder wie Licht, Feuer, Sonne, Spiegel, Luzifer etc. lassen sich nicht nur aus der allgemeinen Rezeption mystischer Schriften erklären, sondern weisen oft, gerade durch den Kontext in welchem sie verwendet werden, auf ihren eindeutigen Bezug zu theosphischem Gedankengut hin. Dennoch blieb die symbolistische Haltung oft distanziert genug, um nicht einfache Plagiate theosopischer Postulate anzufertigen.

Jedoch gab es auch Autoren, die sich selbst nicht nur als Rezipienten und Umschöpfer der Theosophie verstanden, sondern die sich als Adepten E. P. Blavatskajs und ihrer Lehre sahen. Gemeint sind N. K. und E. I. Rerich. Setzt man sich mit der Malerei N. K. Rerichs in der Fachwelt noch relativ intensiv auseinander, bleiben sein poetisches Wirken genau wie die Schriften seiner Frau beinahe völlig außerhalb eines slavistischen Interesses. Dabei bietet hier die besondere Mischung aus östlichem Mystizismus, gepaart mit russischem nationalen Patriotismus und einem bestimmten exotischen Verständniß des russischen sozialistischen Experiments neue Einsichten in das eine bestimmte Gruppe von Intellektuellen prägende Weltverständnis.

Der Wirkungsradius der Theosophie blieb allerdings nicht nur auf die Literatur beschränkt. Russische Philosophen setzten sich in unterschiedlicher Weise damit auseinander, berührten doch theosophische Schriften gerade jene Grundfragen, die auch für philosophisches Denken immer entscheidend waren.

Von einer Kenntnisnahme der theosophischen Schriften und dem Bestreben dazu Stellung zu nehmen zeugen zum Beispiel einige Werke N. Berdjaevs, obwohl die Theosophie hier im Gesamtschaffen keine prägenden Spuren hinerließ.

Ein anderes Bild bietet das Schaffen des Philosophen Vladimir Solov'ev. Beschäftigt man sich mit seinem Gedankenkosmos, fällt auf, daß die Auseinandersetzung mit dem Osten eine Grundtendenz seines gesamten Werkes ausmacht. Hier spielt auch die intensive, wenn auch nicht sofort offensichtliche Auseinandersetzung mit der Thesosphie E. P. Blavatskajs eine bedeutende Rolle. Das nicht zuletzt durch seinen Bruder Vsevolod hervorgerufene Interesse an den Ideen Blavatskajas führt zu einer Polemik, die in einigen Schriften sehr deutlich zutage tritt. Sie ist zum Besipiel sehr konkret in seinem bakannten Werk "Povest' ob Antichriste" (1899) nachzuweisen. Solov'ev selbst gibt sich allerdings große Mühe, die Stoßrichtung seiner Polemik nicht zu deutlich werden zu lassen, denn er wollte sich nicht kompromittieren, indem er zugab eine Lehre wie die theosophische ernst zu nehemn. Das genaue Aufzeigen seiner Auseinandersetzung mit E. P. Blavastkaja würde seinem Werk allerdings eine erweiterte Rezeptionsdimension verleihen und neue Einblicke in das Schaffen eines der bedeutensten russischen Philosophen ermöglichen.

Ähnlich wichtig für die Entschlüsselung seiner Denkens wäre die Verfolgung theosohischer Spuren im Schaffen eines weiteren russischen Philosophen: V. V. Rozanov. Sein Interesse für antike Legenden, Mythen und Mysterienkulte ließ ihn auch an den theosophischen Schriften nicht vorbeikommen. Hier würde der theosphische Hintergrund Ansätze zur adäquaten Entschlüsselung seiner teilweise recht komplizierten Symbolik liefern.

Die Auseinandersetzung mit thesosophischen Wirkungen in der russischen Philosophie, ermöglicht schließlich auch einen Zugang zu bis vor kurzem fast vergessenen russischen Denkern zu erhalten. Einige von ihnen werden im Zuge der Aufarbeitung russischen vorrevolutionären Kulturgutes wieder verlegt und mit Erfolg verkauft. Unter ihnen ist P. D. Uspenskij. Uspenskij war selbst einige Zeit Mitglied der Theosphischen Gesellschaft bis er ihr den Rücken kehrte, da sie seine Suche nach dem "Wunderbaren" nicht mehr zu beflügeln vermochte. Allerdings stehen viele seiner zentralen Werke unter stark theosophischen Einfluß. Hier ist besonders interessant wie Uspenskij, das mehr auf intuitiver Erkenntnis beruhende System Blavatskajas in strenge, teilweise naturwissenschaftlich determinierte, logische Kategorien zu bringen versucht und es ihm dadurch gelingt, eine bestimmte, dem strengen wissenschaftlichen Denken angepaßte Ordnung hineinzubringen.

Um das Bild abzurunden sei noch erwähnt, daß sich der Schauspieler M. A. Čechov für theosophisch-anthroposophische Literatur interessierte und sich der Maler V. Kadinskij ebenfalls teilweise von den Ideen E. P. Blavatskajs inspirieren ließ.

Die Relevanz der Erforschung theosophischer Wirkungen in der russischen Literatur- und Kulturgeschichte ergibt sich auch aus einigen weiteren Umständen. Theosophische Postulate trugen auch dazu bei, Konzeptionen, die sich um die Problematik "Russische Idee" ranken, in gewisser Hinsicht zu beeinflusen. Vorstellungen von Missionen bestimmter Völker zu bestimmten Zeiten führten nicht selten auch zur Nutzung theosophischen Gedankenguts für nationale Entwürfe. Die Theosophen, die ursprünglich jedweden Nationalismus ablehnten, da er ihren kosmopolitischen Vorstellungen von der Gleichberechtigung aller Völker und Nationen widersprochen hätte, sahen ihre Thesen dennoch teilweise als Untermauerung der Vorstellung von einer bestimmten Mission des russischen Volkes fehlinterpretiert. In diesem Zusammenhang wäre es wichtig auf die Grenzen und die, wenn auch nicht intendierten, so doch vorhandenen Gefahren des theosophischen Weltbildes hinzuweisen, wobei allerdings die von R. Steiner ins Leben gerufene Anthroposophie viel detaillierter sogenannte "Missionen einzelner Volksseelen" herausarbeitete.

Ein weiteres Indiz für die Wichtigkeit der Aufarbeitung theosophischer Wirkungen in der russischen Literatur und Kultur ist die enge Beziehung, die sie mit der russischen Frauenbewegung und der Frauenbewegung insgesamt verbindet. Viele führende Theosophen waren Frauen, die hier auf allen Ebenen ihre Kompetenz und Sachkenntnis unter Beweis stellten. Es besteht die Möglichkeit, die spezifisch weibliche Sicht der Lösung bestimmter Daseinsfragen zu untersuchen. Russische Autorinnen, z. B.: V. Kryžanovskaja, die vor allem wegen ihres "Geschlechts" von der Kritik oft nicht ernst genommen wurden, könnten so in ihrer künstlerischen Leistung umfassende postume Würdigung erfahren.

Es ist auch dringend darauf hinzuweisen, daß die Wichtigkeit der Aufarbeitung der theosophischen Thematik auch dadurch gegeben ist, daß die russische Gesellschaft in den letzten Jahren mit theosophischen Publikationen überschüttet wird, die auf eine so gut wie nicht auf den Umgang mit diesen Schriften vorbereitete Öffentlichkeit stößt. Hier würde eine kulturgeschichtliche Aufarbeitung dazu dienen, überzogene Hoffnungen zu relativieren, Grenzen des theosophischen Weltbildes aufzuzeigen, aber auch einer inkompetenten Ignoranz entgegenzuwirken, die umso gefährlicher ist, da sie den angebotenen Ideen keine professionelle Kritik, sondern nur leere Phrasen entegenzusetzen weiß.

Von dem auch internationalen Interesse an den Werken E. P. Blavatskajas zeugt der Umstand, daß das Jahr ihres 100. Todestages, 1991, von der UNESCO als Gedenkjahr proklamiert wurde. In diesem Jahr wurde auch die "Rossijskoe Teosofičeskoe Obščestvo" neu gegründet. Zahlreiche Festveranstaltungen zogen die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit auf sich.

Forschungsstand

Die Theosophische Bewegung wurde bisher im internationalen Maßstab vor allem von Adepten aufgearbeitet, die selten einen objektiv-kritischen Zugang hatten. Eine weitere Gruppe, die sich mit Theosophie kritisch auseinandersetzt, stellen die Anthroposophen dar. Da die Theosophie hier als "überwundenes" Gedankengut gilt, fallen die Wertungen entsprechend subjektvistisch aus.

Für die Slavistik ist festzustellen, daß eine Aufarbeitung theosophischer Wirkungen in der russischen Literatur- und Kulturgeschichte über Jahrzehnte hinweg unterlassen wurde.

Für die westeuropäische Forschung ist diese Zurückhaltung damit zu erklären, daß man Gefahr lief, sich durch ein entsprechendes wissenschaftliches Interesse zu kompromittieren. Zum einen war Blavatskaja als Persönlichkeit in den Medien nach und nach demontiert und unmöglich gemacht worden, zum anderen galt alles, was von einem christlichen oder streng wissenschaftlich determinierten Weltbild abwich als suspekt und wurde sehr rasch in Verbindung gebracht mit dem Unwesen, das einige esoterisch angehauchte Sekten in Westeuropa bereits trieben.

In Rußland verhinderte die allmächtige Parteiideologie von vornherein jede ernsthafte Auseinandersetzung mit nichtmarxistischem Gedankengut.

Der gestiegenen Popularität thesosophischer Schriften in Rußland wird erst in den letzen Jahren ansatzweise in slavistischen Publikationen Rechnung getragen. Dabei richtet sich das Interesse doch letztendlich vorrangig auf die von R. Steiner, theosophische Ideen, weiter- und umdenkende Antroposophie. Diese, vor allem die Wichtigkeit des "Christus-Impulses" für die Weltentwicklung akzentuierende Richtung ist dem europäischen Forscher meistens grundsätzlich näher, als das östliches Denken favorisierende, exotisch anmutende theosophische Konzept.

In den vorhandenen Untersuchungen werden vor allem zwei Aspekte der Herangehensweise deutlich. Zum einen haben wir es mit einer biographisch orientierten Betrachtung zu tun, die in der Widersprüchlichkeit des Lebensweges E. P. Blavatskajas Gründe für die Widersprüchlichkeit ihrer Lehren sucht. Spektakuläre Ereignisse ihrer Biographie werden immer wieder ins Gespräch gebracht, besonders ihre unglücklichen Versuche "übernatürliche" Phänomene hervorzubringen. Diese gelten dann als unwiederlegbarer Bweseis dafür, daß sie nichts weiter als eine Hochstaplerin sein konnte, ohne daß eine tatsächliche intensive Auseinandersetzung mit ihren Werken erfolgte. Sicher ist keine umfassende Werkanalyse unter völliger Ausschaltung der Autorenpersönlichkeit möglich, doch führt eine solche vordergründig durchgeführthe ausschließliche Fixierung auf biographische Details zu einem unzulässigen Reduktionismus. Allerdings gibt es gerade in feministisch ausgerichteten Untersuchungen Ansätze, die Bedeutung dieser Umstände etwas zu relativieren.

Den zweiten Aspekt des slavistischen Zugangs zur Thesophischen Bewegung könnte man als kultur-historisch bezeichnen. Als fundamentalstes Werk wäre in diesem Zusammenhang zu nennen: M. Carlson: "'No religion higher than truth': a history of the Theosophical movement in Russia 1875-1922" (1993). Es ist die bisher einzige slavistische Monographie, die speziell zu dieser Thematik erarbeitet wurde. Die Monographie ist als detaillierte Dokumentation konzipiert, der es vor allem um vollständige Aufschlüsselung von Namen, Daten und Orten geht, die mit der Russischen Theosophischen Bewegung in Beziehung stehen bzw. standen. Wirkungsästhetische Aspekte werden auf jeweils 4 Seiten für A. Belyj und N. K. Rerich angedeutet, ohne umfassende Einsichten ins Gesamtwerk zu liefern. Der tatsächliche Nachweis theosophischer Wirkungen in Literatur- und Kulturgeschichte fehlt. Er wird bestenfalls für die entsprechenden Autoren konstatiert.

Ansätze zur Einbeziehung der theosophischen Thematik in den kulturgeschichtlichen Diskurs finden sich vereinzelt in der slavistischen Zeitschriftenlansdschaft. Akzentuiert wird der enge Zusammenhang der Theosophischen Bewegung mit der Herausbildung eines "neuen religiösen Beweußtseins" im Rußland des Jahrhundertbeginns. Dabei widmet man der Theosophie oft unter anderen ein paar Sätze.

Zielstellung und Methode

Mit der geplanten Habilitationsschrift sollen im Gegensatz zu den bisherigen Abhandlungen zur Problematik theosophische Wirkungen auf Dichter und Philosophen nicht nur konstatiert, sondern im Werk nachgewiesen werden. Dazu erfolgt eine Auswahl der repräsentativsten Autoren, um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen.

Bei der Analyse des Schaffens einzelner Autoren, wird davon ausgegangen, daß immer das Gesamtwerk im Auge behalten werden muß, auch wenn es in einem bestimmten Stadium der schöpferischen Evolution einen Bruch mit der Theosophie gegeben hat. Die vollständige Überwindung einmal geprägter Denkmuster war nicht immer möglich. In diesen Fällen soll dann versucht werden, die Gründe für die Abwendung von der Theosophie und die Richtung der Neuorientierung genau zu analysieren.

Bei der konkreten Werkanalyse sollen verschiedene Ebenen betrachtet werden. Es ist einmal die biographische Ebene zu beachten, die Auskunft darüber gibt, inwieweit der jeweilige Autor persönlich in die Theosophische Bewegung involviert war. Daran schließt sich die Analyse des Weltbildes des Dichters oder Philosophen an. Es sind teilweise sehr interessante Erkenntnisse darüber zu erwarten, wie die Rezeption der Umwelt, durch das theosophisce Raster wahrgenommen, die Aufmerksamkeit auf teilweise unwichtig erscheinende Details fixieren läßt und normalerweise wichtige Ereignisse relativiert werden. Damit ist auch ein spezifisch neuer Einblick in die Gründe zu erwarten, warum die russische Intelligenz die Katastrophen des Jahrhundertbeginns so ambivalent verarbeitete. Als weiterer Untersuchungsaspekt fungiert der wirkungsästhetische. Es wird eine detaillierte Werkanalyse angestrebt. Aufgezeigt werden soll, wie bestimmte poetologische Systeme, die Verwendung einzelner Symbole, Metaphern etc. unter maßgeblicher Beteiligung der Theosophie zustande kamen. Es kann erwartet werden, daß sich dabei einige Werke unter völlig neuem Blickwinkel erschließen lassen.

Hinsichtlich der Analyse philosophischer Schriften soll besondere Aufmerksamkeit der Frage gewidmet werden, inwieweit die Auseinandersetzung mit der Thesosophie dem Denken einzelner Autoren eine neue Richtung gab, eventuell sogar zu einem veränderten Begriffsarsenal führte.

Um die Untersuchungsergebisse so eindeutig wie möglich zu machen, wird es notwendig sein, die Wirkungen der Theosophie von möglichen Wirkungen anderer philosophischer oder religiöser Systeme (z. B.: Mystik allgemein, okkulte Schriften, Anthroposophie etc.) abzugrenzen.

Dabei muß man die Theosophie als komplizoiert strukturiertes, aber autonomes Denksystem begreifen. Sie ausschließlich als Philosophie oder als Religion oder als Pseudowissenschaft zu beschreiben wird ihr nicht gerecht.

Die Thematik ordnet sich damit in die allgemeine Diskussion um die Besonderheiten des russischen idealistischen Denkens ein, das insgesamt anders als in Westeuropa oft Philsosophie nicht von Religion oder Mystik trennte.

Eine Möglichkeit "Theosophie" als System zu begreifen bietet der "funktionale Religionsbegriff", der religiöse Überzeugunguen als Konsens definiert auf den sich bestimmte Gruppen, während einer bestimmten Zeitspanne einigen. In einen sich zu Beginn des 20. Jahrunderts herausbilden wollenden neuen Konsens brachte die Theosphie ihren Beitrag ein.

Hinsichtlich der Untersuchung theosophsicher Wirkungen bei den verschiedenen Autoren, soll auch beleuchtet werden, welcher Aspekt der Lehre bei dem einen oder anderem Autor das größte Interesse fand: war es der relgiöse, der philosophische, der pseudowissenschaftlicihe, oder waren es die poetisch beschriebenen alten Legenden, Beschreibungn alter Mysterienkulte o. ä.

Die Arbeit soll sich insgesamt auch in den Diskurs um die Stellung Rußlands zwischen Ost und West einordnen. Wurde bisher verständlicherweise die Beziehung zum westlchen Kulturgut immer vordergründig akzentuiert, bietet die Auseinandersetzung Rußlands mit der theosphischen Lehre, doch einmal die Möglichketi, den Blick Rußlands nach Osten und die diesbezüglichen Schwierigkeiten nachzuvollziehen. Dies erweist sich vor allem in der heutigen Zeit als unabdingbar, wo Rußland unter anderem gerade eine Renaissance des Intereses am Osten erfährt.

Grobgliederung

Aus dem bisher gesichteten Material ergibt sich folgende Grobgliederung der Arbeit:

1.) Das theosophische Weltbild und die russische Literatur
1.1.) Anfänge der literarischen Rezeption und Verbreitung theosophischer Ideen druch Autoren der "zweiten Reihe" (Vs. Solov'ev, V. I. Kryžanovskaja)
1.2.) Im Labyrinth der Bilder. Der russische Symbolismus und seine Begegnung mit der Theosophie (A. Belyj, V. Ivanov, K. Bal'mont, M. Vološin, V. Brjusov)
1.3.) Zwischen Adeptschaft und eigenen Visionen (N. K. Rerich, E. I. Rerich)

Zeitplan

[...]

Vorarbeiten

- im Rahmen der Herausgabe eines Sammelbandes zur russischen Frauenliteratur vom Institut für Slavsitik/Abt. Literaturwissenschaft (Dr. Göpfert) Veröffentlichung eines Aufsatzes zu "Solov'ev und Blavatskaja" - (siehe Litertauverzeichnis)

- geplant ist aus dafür gesammelten und noch nicht verarbeiteten Material eine Studie über Vsevolod Solov'ev und sein Verhältnis zur theosophischen Gesellschaft für Anzeiger für slawische Philologie

- desweiteren werden Veröffentlichungen zum Verhältnis A. Belyjs zur Theosophie und Anthroposophie vorbereitet

- im Rahmen der Vorbereitung für Lehrveranstaltungen Beschäftigung mit russischer Philosophie und über die reine Lehrvorbereitung hinausgehende Materialsammlung

Kooperation

Es bestehen Kooperationskontakte zu folgenden Institutionen: Institut für Weltlitertaur (Moskau), Institut für Russische Litertaur (St. Petersburg), Universität Kazan', Universität Gießen, Forschungsschwerpunkt "Europäische Aufklärung" (Potsdam), Forschungsgruppe "Russische Philosophie".

Derzeit Anknüpfung von wiss. Kontakten zur Universität München.


   

Literatur und Theosophie 3

B. Seidel-Dreffke: Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die Theosophie E. P. Blavatskajas. Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, Vs. S. Solov'ev). Habilitation.Russische Literatur und Theosophie
Inhaltsverzeichnis



Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts 
und die Theosophie E. P. Blavatskajas. 
Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, 
Vs. S. Solov'ev). Habilitation.

HAAG+HERCHEN Verlag GmbH, Frankfurt a. M., 2004


Auszüge:





Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung       7
Danksagung       9
Inhaltsverzeichnis       13
Abbildungsverzeichnis       19

I.       Theoretische und Kulturgeschichtliche Einführung       21
1.       Theoretische und kulturhistorische Einführung       23
1.1.       Allgemeine einführende Bemerkungen.       23
1.2.       Forschungsfelder und Untersuchungsstrategien       34
1.2.1.       Forschungsstand       34
1.2.2.       Autorenkorpora (Auswahlkriterien, Namen)       41
1.2.3.       Forschungshypothese und Forschungsziel       43
1.2.4.       Aktualität       44
1.2.5.       Untersuchungsstrategien       46
1.3.       Theosophie als okkultes Welterklärungsmodell       53
1.4.       Die Theosophie E. P. Blavatskajas (allgemeine Prämissen: Entstehung, allgemeine Grundlagen, geistesgeschichtlicher Kontext).       68
1.4.1.       E. P. Blavatskaja (ausgewählte biographische Stationen)       68
1.4.2.       Grundprinzipien der theosophischen Lehre       71
1.4.3.       Zur Unterscheidung zwischen Theosophie und Anthroposophie       81
1.4.4.       Die anthroposophische Polemik mit der Theosophie Blavatskajas als Auseinandersetzung mit dem Osten       90

II.       Theosophie und Autoren des Symbolismus       95
2.       Theosophie und Anthroposophie als Kodierungsmo-delle für literarische Werke bei A. Belyj       97
2.1.       Problemstellung       97
2.2.       Theosophie und Anthroposophie im Leben A. Belyjs (ausgewählte biographische Stationen).       98
2.3.       Theosophie und Anthroposophie in den Schriften A. Belyjs       108
2.3.1.       Konstituierung und Elemente des anthroposophischen Denkmodells A. Belyjs       108
2.3.2.       Die Auseinandersetzung mit dem Osten als Chiffre für die Polemik mit der Theosophie Blavatskajas bei A. Belyj       120
2.3.3.       Rezeption und Wirkung von Theosophie und Anthroposophie im Prosawerk A. Belyjs (allgemeine Prämissen)       121
2.4.       Der Roman „Peterburg“       128
2.4.1.       Forschungsstand       128
2.4.2.       „Peterburg“ als Schauplatz kosmischen Kräftespiels       135
2.4.3.       Apollon Apollonovič Ableuchov als Inspirator der östlichen Mission       142
2.4.4.       Nikolaj Apollonovič Ableuchov als Inkarnation antichristlich-luziferischer Mächte       146
2.4.4.1.       Intertextuelle Bezüge: A. Belyjs Mysteriendrama „Antichrist“ und „Peterburg“. „Moskva“ und „Peterburg“ (einige Parallelen).       153
2.4.4.2.       Der Name „Apollon“ als Indikator antichristlicher Vorstellungen       158
2.4.5.       Sergej Sergeevič Lichutin als Träger des Christus- Impulses       162
2.4.6.       Sof'ja Petrovna Lichutina als ein Medium zur Vermittlung der östlichen Mission nach Rußland       169
2.5.       Der Roman „Moskva“       175
2.5.1.       Forschungsstand       175
2.5.2.       Das theosophische Persönlichkeitsmodell und seine Integration in Belyjs Roman       179
2.5.3.       Korobkins Mysterienweg - Transformation im Bereich des Manas       181
2.5.4.       Mandro als Vehikel der Auseinandersetzung A. Belyjs mit der Theosophie E. P. Blavatskajas       195
2.5.5.       Dr. Donner als Fokus anthroposophischer Geschichtskonzeptionen im Verständnis A. Belyjs       201
3.       Theosophische Welt- und Selbstdekodierung im poetologischen System M. A. Vološins       209
3.1.       Problemstellung       209
3.2.       Theosophie und Anthroposophie im Leben M. A. Vološins (ausgewählte biographische Stationen)       210
3.3.       Theosophie und Anthroposophie bei M. A. Vološin       220
3.4.       Theosophie und Anthroposophie im poetologischen System M. A. Vološins       232
3.4.1.       Einleitung       232
3.4.1.1.       Zum Forschungsstand       232
3.4.1.2.       Die Lyrik Vološins - ein Überblick       237
3.4.2.       M. A. Vološins Sonettkranz „Corona astralis“       247
3.4.2.1.       Vorbemerkung       247
3.4.2.2.       Künstlerische Weltdekodierung in „Corona astralis“       248
3.4.2.3.       Zum Titel „Corona astralis“       266
3.4.2.4.       Funktion des Mythos in „Corona astralis“       268
3.4.3.       M. A. Vološins „Lunaria“ als Spiegel theosophischer und anthroposophischer Vorstellungen       274
3.4.3.1.       Zum Mondmythos (allgemeine Prämissen)       274
3.4.3.2.       Der „Mond“ in Theosophie und Anthroposophie       278
3.4.3.3.       M. A. Vološins „Lunaria“ als Dekodierung des Mondmythos auf theosophischer und anthroposophischer Grundlage       281
3.4.3.4.       „Lunaria“ als mythopoetischer Text       301
3.4.4.       Weitere poetische Spekulationen um Himmelskörper im Licht von Theosophie und Anthroposophie: „Saturn“ und „Solnce“       310
3.4.4.1.       Traditionelle Mythenbildung um die Gestirne Saturn und Sonne       310
3.4.4.2.       Saturn und Sonne in theosophischer und anthroposophischer Betrachtung       313
3.4.4.3.       Theosophische und anthroposophische Kodierung in M. A. Vološins Gedichten „Saturn“ und „Solnce“       316
3.4.4.4.       „Saturn“ und „Solnce“ als mythopoetische Werke       324

III.       Theosophie und Autoren der Unterhaltungsliteratur       331
4.       Theosophie und Gattungsbeschreibung. V. I. Kryžanovskaja       333
4.1.       Problemstellung       333
4.2.       V. I. Kryžanovskaja - Leben und Werk (ein Überblick)       335
4.3.       Die Auseinandersetzung mit dem theosophischen Weltmodell in V. I. Kryžanovskajas Romanen       341
4.4.       Theosophie und Gattungsbildung. Der „okkulte Roman“ V. I. Kryžanovskajas       365
4.4.1.       Vorbemerkung       365
4.4.2.       Definitions- und Abgrenzungsversuche       380
4.4.2.1.       Der „okkulte Roman“ und die phantastische Literatur       380
4.4.2.2.       Der „okkulte Roman“ und die „Science-fiction“       390
4.4.2.3.       Der „okkulte Roman“ und die literarische Utopie       398
4.4.3.       Besonderheiten des „okkulten Universums“ in „Smert' planety“ und „Zakonodateli“       404
4.4.3.1.       Der Roman „Smert' planety“ und seine Beziehungen zur phantastischen Literatur und zur Science-fiction       404
4.4.3.2.       Die okkulte Utopie im Roman „Zakonodateli“       412
4.4.3.3.       Besonderheiten männlicher Protagonisten       426
4.4.3.4.       Die Stellung der Frau im okkulten Universum       432
5.       Dokumentation oder literarische Fiktion. Vs. S. Solov'evs Blavatskaja-Bild       439
5.1.       Problemstellung       439
5.2.       Vsevolod S. Solov'ev - Leben und Werk (ein Überblick)       441
5.3.       Zur Auseinandersetzung mit der theosophischen Problematik in Vs. S. Solov'evs Romanen       448
5.4.       Solov'evs Polemik mit E. P. Blavatskaja in „Sovremennaja žrica Izidy“       459
5.4.1.       Vorbemerkung       459
5.4.2.       „Sovremennaja žrica Izidy“       462
5.4.2.1.       Entstehungsgeschichte und inhaltliche Schwerpunkte       462
5.4.2.2.       Zwischen Faktographie und literarischer Fiktion       468
5.4.2.3.       Frauengestalten in den Romanen von Vs. S. Solov'ev       483
5.4.2.4.       Solov'evs Bruch mit seinen traditionellen Weiblichkeitsentwürfen. Der Typ „Hexe“ in „Sovremennaja žrica Izidy“       493
5.4.2.5.       Wechselbeziehungen zwischen Ich-Erzähler und Blavatskaja-Figur in „Sovremennaja žrica Izidy“       504

IV.       Fazit und bibliographischer Anhang       521
6.       Zusammenfassung und Ausblick       523
7.       Systematische Bibliographie       541
7.1.       Blavatskaja, Elena P.       541
7.1.1.       Texte       541
7.1.2.       Russische Neuauflagen der Werke E. P. Blavatskajas       544
7.1.3.       Sekundärliteratur       545
7.2.       Steiner, Rudolf       546
7.2.1.       Texte       546
7.2.2.       Sekundärliteratur       547
7.3.       Belyj, Andrej       547
7.3.1.       Texte       547
7.3.2.       Sekundärliteratur       549
7.4.       Vološin, Maksimilian A.       559
7.4.1.       Texte       559
7.4.2.       Sekundärliteratur       561
7.5.       Kryžanovskaja, Vera I.       569
7.5.1.       Texte       569
7.5.2.       Sekundärliteratur       571
7.6.       Solov'ev, Vsevolod S.       572
7.6.1.       Texte       572
7.6.2.       Sekundärliteratur       574
7.7.       Theosophie (allgemein)       576
7.7.1.       Theosophische Literatur       576
7.7.2.       Kritische Literatur       582
7.8.       Anthroposophie (allgemein)       585
7.9.       Theosophie, Anthroposophie, Okkultismus und Rußland       589
7.10.       Symbolismus in Rußland     595
7.11.       Literatur zu Theorie und Methode     599
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen       615
Namens- und Personenregister       617


Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: V. Kandinskij: Kleine Welten III. 1922       11
Abbildung 2: V. Kandinskij: Kleine Welten VII. 1922       11

Schema 1: Die sieben Prinzipien der theosophischen Persönlichkeitsstruktur       207


Quelle der Abbildungen:
Düchting, H.: Wassily Kandinsky. 1866-1944. Revolution der Malerei. Köln u. a. 1999.



   

Literatur und Theosophie 4

B. Seidel-Dreffke: Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die Theosophie E. P. Blavatskajas. Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, Vs. S. Solov'ev). Habilitation.Russische Literatur und Theosophie
Danksagung



Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts 
und die Theosophie E. P. Blavatskajas. 
Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, 
Vs. S. Solov'ev). Habilitation.

HAAG+HERCHEN Verlag GmbH, Frankfurt a. M., 2004


Auszüge:





Danksagung

Mein Dank gilt vor allem der Volkswagen-Stiftung, die die Erstellung vorliegender Forschungsarbeit durch ein Stipendium in den Jahren 1997-2001 förderte und sich meiner Anfragen und Probleme stets mit freundlicher Unterstützung annahm.
Dabei möchte ich mich besonders bei den Zuständigen für den geisteswissenschaftlichen Bereich, Herrn Priv.-Doz. Dr. A. Horstmann, Herrn Dr. M. Beiner und Frau I. Frommer recht herzlich bedanken.

Mein besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. G. Lehmann-Carli (Universität Halle) für ihre fruchtbaren Hinweise, ihre hilfreiche Unterstützung und für die Zeit, die sie trotz starker arbeitsmäßiger Belastung immer für meine Fragen fand.
Herzlich gedankt sei auch Frau Prof. Dr. Ch. Ebert (Universität Frankfurt/Oder) für die intensiven Fachkonsultationen speziell zum russischen Symbolismus.

Nicht zuletzt gilt mein Dank meinen Moskauer Kollegen vom Institut für Weltliteratur (Dr. L. G. Grigor'eva) und dem Institut für russische Literatur in St. Petersburg (besonders Dr. V. K. Petuchov, Dr. N. N. Mostovskaja und Prof. Dr. A. V. Lavrov), für die Bereitschaft zu Konsultationen. Ein herzlicher Dank gilt Prof. Dr. V. N. Konovalov von der Universität Kazan', der leider vor einiger Zeit verstorben ist. Sein Zuspruch und seine positive Kritik haben die Arbeit entscheidend mit beeinflußt. Die Erinnerung an ihn wird auch mein weiteres Berufsleben immer begleiten.
Dank gesagt sei auch Herrn Prof. Dr. J. Santucci (California State University) und Frau Prof. Dr. M. Carlson (University of Kansas) für die hilfreiche beratende Korrespondenz.

Besonders bedanken möchte ich mich bei meinem Partner externer Link Thomas Seidel, der oft noch abends nach seiner Arbeit im Büro die technische Fertigstellung der Schrift besorgte, mich bei der Erstellung des Layouts beriet und die Korrekturlesung übernahm. Intensive Gespräche mit ihm gaben mir auch oft neue fruchtbare Impulse.

Darüber hinaus möchte ich mich bei meiner Mutter, Ingetraud Dreffke, bedanken, deren aufmunternder Optimismus mir Kraft zum Durchhalten gab. Mein Dank gilt auch meinem Vater, Dr. Fritz Dreffke und dessen Frau Kristina Dreffke, sowie meinem Bruder, Gerald Dreffke, die stets bereit waren, mir Unterstützung zuteil werden zu lassen.

An dieser Stelle möchte ich auch meinem Freund, Jürgen P., einen besonderen Dank aussprechen, da er mich in der Vorbereitungsphase auf die mündliche Verteidigung dieser Schrift mental unterstützte und sein seelischer Beistand wesentlich zum Gelingen des Vorhabens beitrug.

Ich möchte meinen Gutachtern nochmals einen besonderen Dank zollen: Frau Professor Dr. Lehmann-Carli (Universität Halle), Herr Professor Dr. Hermann Goltz (Universität Halle) und Frau Professor Dr. Christa Ebert (Universität Frankfurt /Oder).
Die fruchtbaren weiterführenden Hinweise zu meinen Untersuchungen haben mein Denken nachhaltig beeinflußt und werden auch in der Folgezeit bei meinen Forschungen zur entsprechenden Thematik stete Beachtung finden.



   

Literatur und Theosophie 5

B. Seidel-Dreffke: Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die Theosophie E. P. Blavatskajas. Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, Vs. S. Solov'ev). Habilitation.Russische Literatur und Theosophie
Vorbemerkung



Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts 
und die Theosophie E. P. Blavatskajas. 
Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, 
Vs. S. Solov'ev). Habilitation.

HAAG+HERCHEN Verlag GmbH, Frankfurt a. M., 2004


Auszüge:





Vorbemerkung

Die Theosophie Elena P. Blavatskajas (oder H. P. Blavatskys, wie sie in Westeuropa und in Amerika genannt wird) stellt seit über hundert Jahren ein in esoterischen Kreisen viel diskutiertes, in der etablierten Wissenschaft aber noch kaum beachtetes Phänomen der internationalen Geistesgeschichte dar.
Dabei verliefen Rezeption und Wirkung der theosophischen Lehre bei Schriftstellern, Künstlern, Philosophen gerade in gesellschaftlichen und ideologischen Umbruchphasen durchaus sehr intensiv.
Einen besonderen Höhepunkt dieser Entwicklung markierte die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in Russland. Sowohl etablierte Schriftsteller als auch Autoren aus dem Bereich „Unterhaltungsliteratur“ wurden von Ideen und Gedanken E. P. Blavatskajas inspiriert.
Vorliegende Untersuchung will sowohl Grundmuster der theosophischen Lehre kritisch beleuchten, als auch deren Wirkung und Wirkmechanismen in der russischen Literatur des Jahrhundertbeginns reflektieren.

Die Arbeit wurde im Juni 2004 als Habilitationsschrift an der Universität Halle verteidigt.



   

Literatur und Theosophie 6

B. Seidel-Dreffke: Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die Theosophie E. P. Blavatskajas. Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, Vs. S. Solov'ev). Habilitation.Russische Literatur und Theosophie
1.1. Allgemeine einführende Bemerkungen



Die russische Literatur Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts 
und die Theosophie E. P. Blavatskajas. 
Exemplarische Untersuchungen. (A. Belyj, M. A. Vološin, V. I. Kryžanovskaja, 
Vs. S. Solov'ev). Habilitation.

HAAG+HERCHEN Verlag GmbH, Frankfurt a. M., 2004


Auszüge:





1. Theoretische und kulturhistorische Einführung

1.1.  Allgemeine einführende Bemerkungen

Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte Rußland eine Krisen- und Umbruchsituation, die gesellschaftliches und geistiges Leben gleichermaßen erfaßte und in Bewegung brachte. Die wirtschaftliche Misere, der drohende Weltkrieg, Regierungskrisen und sich mit Umsturzgedanken tragende Gruppierungen erschütterten die materiellen Grundlagen Rußlands und provozierten soziale und geistige Umbrüche.

Die Suche nach Auswegen wurde zu einem konstituierenden Lebensbestandteil vieler Intellektueller. Ergebnis war ein kultureller Aufschwung, der Literatur, Malerei, Musik, Theater, Philosophie u. a. betraf und schließlich einen Höhepunkt im sogenannten „Silbernen Zeitalter“ der russischen Kultur fand.

Die Suche nach Lösungsstrategien brachte unterschiedliche Ergebnisse. Bestimmte Ver­treter des russischen Geisteslebens bemühten sich, traditionelle, am philosophischen Idealismus bzw. an Glaubenssätzen der orthodoxen Kirche orientierte Denkmodelle weiterzuentwickeln (z. B.: Pavel A. Florenskij, Nikolaj F. Fedorov, Nikolaj A. Berd­jaev). Andere wandten sich völlig von den von der Kirche als Institution vertretenen Anschauungen ab und versuchten, eine neue Beziehung zum Christentum zu finden (z. B.: bogoiskatel'stvo, bogostroitel'stvo). Es existierte aber auch eine rigide Ablehnung jedweder religiöser Vorstellungen, die schließlich in einem radikalen Atheismus bzw. Materialismus gipfelte. Für bestimmte Kreise bot sich auch Hoffnung im Glauben an eine sich mit beispiellosem Tempo entwickelnde Naturwissenschaft, die ihrerseits die Evolution bestimmter Denkmodelle forcierte.

Eine bestimmte Gruppe russischer Intellektueller allerdings wandte sich verschiedenen, unter dem Oberbegriff „Okkultismus“ zusammenzufassenden Strömungen zu. Hierbei ist folgendes anzumerken:
Bewegungen, die ein Interesse am „Okkulten“ bzw. dem Okkulten als Gesamtphänomen hatten, gab es in Russland schon vor dem 19. Jahrhundert. Eine große Rolle spielte dabei die russische Freimaurerei („masonstvo“). Besonders diese rief in den letzten Jahren ein reges Interesse hervor.[1]

Freimaurerlogen existierten sowohl in den zentralen großen Städten Moskau und Petersburg als auch in der Provinz. Sie beeinflußten das zeitgenössische und spätere russische Geistesleben nachhaltig. Zu führenden Vertretern der russischen Freimaurerei gehörten u. a. N. I. Novikov, A. M. Kutuzov, A. A. Petrov, I. P. Turgenev, I. V. Lopuchin und zeitweise sogar N. M. Karamzin.

Sie wurden lange Zeit als Bewahrer elitären Geheimwissens betrachtet. Neure Forschungen belegen aber, daß es ihnen gerade oft um die Vermittlung ihres speziellen Wissens und der Gesellschaft ging.


„Im Kreis der Moskauer Freimaurer und Aufklärer verbanden sich kulturoptimistische Vorstellungen Voltaires und der Enzyklopädisten mit pietistischen, hermetisch-theosophischen und mystischen Tendenzen. Die meisten dieser masony waren nachweislich Anhänger eines ‚aufgeklärten Absolutismus’.“[2]


Dabei verstand man allerdings unter „Theosophie“ etwas anderes als das in dieser Arbeit unter der Bezeichnung „Theosophie E. P. Blavatskajas“ subsumierte Weltbild.

Allerdings finden sich Berührungspunkte zwischen freimaurerischen Ideen und der Theosophie E. P. Blavatskajas. Einerseits gehört das Freimaurertum u. a. zu den geistigen Quellen der Theosophie, andererseits erleichterte der durch Verbreitung freimaurerischer Konzepte in Rußland für okkulte Weltbilder vorbereitete Boden gleichzeitig deren Rezeption. An dieser Stelle seien deshalb einige sinnfällige Parallelen aufgezeigt, die freimaurerisches Denken auf der einen Seite und die Theosophie Blavatskajas auf der anderen Seite in einen Zusammenhang bringen.

So findet sich bei den Freimaurern ein bestimmter religiös-moralischer Anspruch an die Persönlichkeit, der in der Theosophie Blavatskajas ebenfalls zentraler Punkt der entworfenen Lehrgebäude war. Wichtig ist hier wie dort die Zügelung der Leidenschaften, die Präferenz geistiger und moralischer Werte, deren Hervorhebung im Gegensatz zu rein auf materielles Wohlergehen gerichteten Bestrebungen. Bestandteile der praktischen Verwirklichung dieses Ziels waren bei den Freimaurern u. a. ähnlich wie später in der Theosophie Askese, Selbstbeobachtung, ständiges Streben nach Selbstvervollkommnung. Auch die Freimaurerei setzte es sich schon zum Ziel, das „alte Ich“ abzutöten und so den Weg freizumachen für eine geistige Wiedergeburt.

Ein weiteres geistiges Bindeglied zwischen der Theosophie Blavatskajas und der Freimaurerei kann man in den Bestrebungen erblicken, sich von der offiziellen, institutionalisierten Staatskirche zu distanzieren. Wert wurde vor allem auf den geistigen Inhalt religiösen Seins gelegt.

Die Theosophie Blavatskajas entwickelte später ähnlich wie die Freimaurer eine mystische Naturphilosophie. Gott sollte vor allem über Naturerkenntnis erfahren werden. Angestrebt wurde eine „unio mystica“. Man las Jakob Böhme.

Im Zuge der Diskussion freimaurerischer Konzepte in Rußland kam es auch zu einer intensiven Rezeption von pietistischen und quietistischen Konzepten. Auch rosenkreuzerische Vorstellungen wurden übernommen, es existierte in Rußland auch eine explizit hermetisch-alchemistisch orientierte freimaurerische Gruppe.

Im Zuge der Rezeption freimaurerischer Ideen kam es also in Rußland auch zu einer Infiltration mit verschiedenen anderen, externen okkulten Vorstellungen. Auch dieser geistige Hintergrund bot ein aktives Potential für das wachsende Interesse an okkulten Konzepten im 19. und vor allem zu Beginn des 20. Jahrehunderts.

Vorstehend sollte natürlich kein auch nur annähernd erschöpfender Vergleich zwischen freimaurerischen Konzepten und der Theosophie durchgeführt werden. Es sollte in diesem Zusammenhang vor allem darauf hingewiesen werden, daß der Boden für Konzepte, wie es die Theosophie E. P. Blavatskajas vorstellte, in Rußland durchaus schon durch andere Bewegungen vorbereitet war und die Verbreitung bestimmter theosophischer Vorstellungen auch im Zusammenhang mit dem vorhandenen Interesse an der Freimaurerei stehen. (Vološin war zum Beispiel, bevor er sein Interesse für die Theosophie entdeckte, Mitglied einer französischen Freimaurerloge).

Es wäre sicher von nicht unbeträchtlichen wissenschaftlichem Interesse, hier spezielle Untersuchungen anzustellen, die aber nicht Thema vorliegender Arbeit sind und an dieser Stelle zu weit führen würden.

Erforscht sind in diesem Zusammenhang, zum Beispiel, Puškins Beziehungen zum Freimaurertum, die direkt in einigen seiner Arbeiten auszumachen sind.[3]

Im 19. Jahrhundert hatte das okkulte Denken allerdings eine neue Qualität und Quantität erreicht (vgl. 1.3.) Sowohl der Anspruch, den okkulte Systeme für sich erheben, als auch die Anforderungen, die von außen an diese gestellt werden, hatte sich erhöht. In Rußland wurde der Okkultismus Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts für bestimmte Kreis der Gesellschaft und besonders für die Intelligencija[4] interessant. Die Rezeption okkulter Vorstellungen erfolgte auf den unterschiedlichsten Ebenen. Für die einen war es ein Abenteuer, das sich darin erschöpfte, daß man Tische rückte und die Geister Verstorbener beschwor, für die anderen wurde er zu einer Philosophie oder gar zu einer Wissenschaft und für die dritten war es einfach Unsinn, über den man sich lustig machen konnte. Insgesamt jedenfalls wurde das Okkulte auch im Rußland der Jahrhundertwende zu einem Thema, das sowohl in den Medien als auch in privaten Gesprächen verstärkt diskutiert wurde. Einzelne Bestandteile okkulter Systeme wurden verbreitet und „erforscht“ wie das Tarot, Somnabulismus, Mesmerismus, Astrologie etc. Aber auch einzelne okkulte Bewegungen wurden aktiviert oder formierten sich um, so zum Beispiel die Freimaurer und die Rosenkreuzer. Aber:
„… the two most important movements in fin de siecle Russia were Theosophy (Theosophie Blavatskajas - B. S.-D.) and Spiritualism. They had the largest number of adherents and dominated the journals and publications.“[5]

Gerade um die Theosophie (gemeint ist die Theosophie Blavatskajas) und ihre Einwirkungen auf die russische Literatur soll es nun im folgenden gehen.

Elena P. Blavatskajas[6] theosophisches Welterklärungsmodell erfreute sich bei unterschiedlichen Kreisen der russischen Intelligencija Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer wachsenden Aufmerksamkeit. Gründe für dieses Interesse bei Künstlern, Literaten und Philosophen lassen sich unschwer aus dem oben gegebenen Überblick über Grundsätze und Bestandteile dieses Denkmodells entnehmen. Viele Intellektuelle waren darum bemüht, sich mit Fragen der Erkenntnis des eigenen „Ich“ und der neu zu bestimmenden Beziehung zu Gott zu beschäftigen. Das theosophische Welterklärungsmodell Blavatskajas wurde als Grundlage für die Entwicklung eigener Visionen genutzt, die nicht mehr an festgeschriebene Traditionen gebunden waren und den Menschen als freien Schöpfer seiner selbst sahen. Der Mensch durfte sich darüber hinaus als ein Wesen betrachten, dem es möglich war, sich aus eigener Kraft in die Welt des Unsichtbaren zu begeben. Damit lieferte die Theosophie Blavatskajas auch Bestandteile für die die Jahrhundertwende prägende Suche nach dem „neuen Menschen“. Die der Kirche den Rücken kehren wollten, ohne in einen Atheismus verfallen zu müssen, suggerierte sie die Möglichkeit, weiter an ein göttliches Prinzip zu glauben, ohne sich einer bestimmten Religion unterordnen zu müssen. Viele russische Intellektuelle waren der Meinung, daß die Kirche als Institution nicht mehr genug Augenmerk auf die Vermittlung innerer Frömmigkeit legen würde. Dieser Umstand war konfessionsübergreifend. Der Mensch konnte sich während einer Unsicherheit verbreitenden Krisensituation in ein nach festen Gesetzmäßigkeiten strukturiertes System eingebunden wähnen. Die Endzeitstimmung wurde gemildert durch eine Kosmogonie, die einen Weltuntergang nicht vorsah und jeden Umbruch als einen gesetzmäßigen Schritt in eine bessere Zukunft verstand. Der sich in der neuen Situation oft einsam fühlende Mensch sah sich nun von einer Schar ihm angeblich helfender Wesen umgeben, die ihn in jeder Lage sicher, wenn auch nicht sichtbar, zur Seite standen.

Für Anhänger eines streng wissenschaftlichen Weltbildes suggerierte sie die Möglichkeit, in die Welt des „Unerklärlichen“ und „Übernatürlichen“ mit Hilfe geisteswissenschaftlicher „Methoden“ eindringen zu können.

Die Kosmogonie der Theosophie lieferte schließlich auch die Grundlage für die Stärkung des Glaubens an eine russische Mission, und man fand sie bei einigen Denkern in Thesen zur russischen Seele eingebunden. Dabei wurde die Idee von der russischen Mission bereits im Mittelalter artikuliert und fand spätere Neuauflagen (u. a. bei den Slavophilen im 19. Jahrhundert). Hier entwickelte Konzepte wurden später gern in okkulte Welterklärungsmodelle eingebunden.[7] Auch die bei den russischen Intellektuellen vorhandene Erwartung eines neuen, goldenen Zeitalters wurde unterstützt.
Die Theosophie war aufgrund ihrer praktischen Dimension besonders für die handlungsorientierte russische Intelligencija interessant. Von ihr gingen auch Impulse zur Frauenemanzipation aus. In der Theosophischen Gesellschaft finden wir oft Frauen in führenden Positionen. Da die theosophische Ideologie die Gleichstellung beider Geschlechter unterstützt, existieren für die weibliche Kreativität keine von vornherein festgesetzten Beschränkungen. Blavatskaja nimmt oft zur Rolle der Frau in der Gesellschaft Stellung und fordert deren Aufwertung.[8]

Rezeption und Diskussion der Theosophie Blavatskajas erfolgte im Rußland der Jahrhundertwende am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf verschiedenen Ebenen und auf unterschiedliche Art und Weise. Schon lange vor der Gründung des „Rossijskoe Teosofičeskoe Obščestvo“ („Russische Theosophische Gesellschaft“, 1908) bildeten sich kleinere theosophische Gesprächskreise, die ungefähr dieselbe Wirkung hatten wie die literarischen Salons im 18. und 19. Jahrhundert. Spätestens nach der Gründung der Russischen Theosophischen Gesellschaft gab es schließlich theosophische Zirkel bzw. Sektionen nicht nur in den Zentren Moskau und Petersburg, sondern auch in der Provinz, zum Beispiel in Kaluga, Jalta, Rostov am Don, Riga, Poltava, Jaroslavl' und Kiev.

Diese öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten trugen auch sehr bald Früchte, so daß man im Rußland der Jahrhundertwende mit einer Reihe von Künstlern, Philosophen und Literaten konfrontiert wird, die sich intensiv mit dem Phänomen Theosophie auseinandersetzten, sogar davon beeinflußt wurden, oder sich zuerst dafür interessierten, dann scharf mit ihr polemisierten oder aber schließlich gar zu Nachfolgern und Apologeten E. P. Blavatskajas und ihrer Lehre wurden. Dabei reicht der Beginn der Rezeption theosophischer Schriften bei Vertretern des russischen Geisteslebens bis ins 19. Jahrhundert zurück.

Der „Altmeister des Realismus“ in Rußland, Lev N. Tolstoj, war, zum Beispiel, eine Zeitlang Abonnent verschiedener theosophischer Zeitschriften. Er las darüber hinaus buddhistische Schriften, deren Übersetzung unter maßgeblicher Beteiligung der theosophischen Gesellschaft zustande kamen und interessierte sich auch für die Werke E. P. Blavatskajas selbst. Aus ihrem Buch „The Voice of the Silence“ („Die Stimme der Stille“, 1889) übernahm Tolstoj einige Aphorismen in seinen Sammelband „Na každyj den'“ („Für jeden Tag“). Obwohl er auch mit führenden russischen Theosophen bekannt war, blieb seine Haltung gegenüber der theosophischen Lehre bis zuletzt distanziert kritisch.

Eine ähnlich kritische Haltung zur Theosophie Blavatskajas, die sich sehr deutlich in seinen Schriften niederschlug, finden wir beim Philosophen Vladimir S. Solov'ev vor. Der Philosoph äußerte sich das erste Mal in einer Rezension zu Blavatskajas „Key to Theosophy“ („Der Schlüssel zur Theosophie“, 1889) zu ihrer Lehre und später in einem Aufsatz für Sergej A. Vengerovs Schriftstellerlexikon.[9] Solov'ev kritisiert hier sowohl Ausgangspunkte des theosophischen Konzepts, als auch die Darstellungsweise und Teile konkreter Werke, wobei er sich besonders mit dem seines Erachtens nach unklaren Gottesbegriff der Theosophie auseinandersetzt. Blavatskaja selbst hat Solov'evs Rezension ihres „Key to Theosophy“ gelesen und sich in einem umfangreichen Schreiben darüber geäußert, welches allerdings in der russischen Presse nicht abgedruckt wurde. Es wurde erst postum veröffentlicht.[10] Die Entfaltung der Polemik blieb so der Fachwelt größtenteils verborgen. In V. S. Solov'evs philosophischem System spielt die Auseinandersetzung mit dem „Osten“ eine bedeutende Rolle, die sich in einer verschlüsselten Polemik mit E. P. Blavatskaja in seiner „Povest' ob Antichriste“ („Die Erzählung über den Antichristen“, 1899) niederschlug.[11]

Auch der Philosoph N. A. Berdjaev kam mit Blavatskajas Theosophie in Berührung. Die für sein Leben in dieser Hinsicht aufschlußreichen Begegnungen beschrieb er in seiner philosophischen Autobiographie „Samopoznanie“ („Selbsterkenntnis“, veröff. 1949). Im Jahre 1916 widmet er einen umfangreicheren Aufsatz der Thematik, der unter dem Titel „Teosofija i Antroposofija v Rossii“ („Theosophie und Anthroposophie in Rußland“, 1991 wieder aufgelegt) erschien. Berdjaev versucht eine Einordnung des Phänomens „Theosophie“ in einen philosophischen Kontext und konstatiert erste Unterscheidungsmerkmale zwischen Theosophie und Anthroposophie.

Ganz im Zeichen theosophischer Theorien beginnt der russische Philosoph und Mystiker Petr D. Uspenskij (1878-1947) seinen Werdegang. Der später die Ideen G. I. Gurdžievs[12] favorisierende Uspenskij bemühte sich gerade in seinen Frühwerken um die von der Theosophie so nachhaltig proklamierte Vereinigung von Philosophie und Wissenschaft, wobei er E. P. Blavatskajas Arbeiten häufig zitiert (vgl.: „Tertium Organum. Kluči k zagadkam mira“, „Tertium Organum. Der Schlüssel zu den Welträtseln“, SPb. 1911; „Cetvertoe izmerenie“, „Die vierte Dimension“, SPb. 1910).

Eine neue Dimension der Rezeption erfuhr die Theosophie durch den russischen Symbolismus. Die Breite des Wirkungsimpulses hängt sicher damit zusammen, daß das Weltbild im russischen Symbolismus mehr als bei anderen literarischen Richtungen zu einem Faktor literaturgeschichtlicher Relevanz wird,

„… da das Weltbild in diesem besonderen Fall die Vielfalt der künstlerischen Bildsymbole generiert.“[13]

Gerade die Konzipierung eines neuen Weltverständnisses wurde ja auch von der theosophischen Lehre angestrebt, wobei alle Seiten menschlicher Interessen (von der kosmischen bis zur menschlichen Evolution) abgedeckt werden sollten. Der Symbolismus mußte sich seine Bilderwelt erst erschaffen und stieß bei der Suche nach brauchbaren Mustern auch auf die Theosophie.

„Today many scholars are unware of the degree to which Theosophical vocabulary and imagery left their subtle mark on the art and literature of the Silver Age: the frequent use - indeed, overuse - of adjectives such as ‚light‘, ‚silent‘, ‚bright‘, ‚spiritual‘ …, the concept of harmony; the notion of theurgy; the images of Eternity and the Call; the idea of correspondences; the central figure of the Triangle; the images of the spider and the web (Maya, the world illusion); the circle, the wheel, and the spiral (of reincarnation); the Initiate and the initation; the idea of the Path; the Abyss; the struggle of Light and Darkness; the notion of the Master and the Brotherhood; the secrete society; the color white and the metal silver, exotic Eastern vocabulary; and the like - these are the commonplaces of Theosophy that entered artistic discourse almost unnoticed. An awareness of this occult subtext on the figurative and semantic level opens fresh perspectives that can lead to new interpretive possibilities.“[14]

Natürlich war die Theosophie nicht die einzige Theorie, die Rußlands „Silbernes Zeitalter“ beeinflußte. So gab es eine Reihe von Schriftstellern, die für eine kurze Zeit mit der Theosophie „flirteten“, sie aber bald wieder aufgaben wie Vjačeslav Ivanov, Aleksej Remizov, Valerij Brjusov. Beziehungen Ivanovs zur Theosophie und anderen das „Silberne Zeitalter“ prägenden Richtungen wurden in letzter Zeit Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung. Besonders seine Beziehungen zur Theosophin A. R. Minclova sind hierbei von Interesse.[15] Da Ivanov bestrebt war, seinen eigenen religiösen Kosmos zu entwerfen, sind theosophische Spuren in seinen Werken zwar nur marginal vorhanden, weisen ihn dennoch als einen Autor aus, der sich im Kontext der „okkulten Renaissance“ des „Silbernen Zeitalters“ bewegte.

Bei Autoren, die bisher vor allem im Schatten einer besonderen Art skandalöser Bekanntheit standen, wie Michail A. Kuzmin, werden Parallelen zu okkulten Schriften, z. B.: zur „Secret Doctrine“ („Die Geheimlehre“) Blavatskajas offengelegt.[16]

Zu den von theosophischen Ideen relativ stark angezogenen Autoren gehört auch Daniil L. Andreev. Dieser, im Prinzip erst nach der Perestrojka in den 80er Jahren wiederentdeckte Schriftsteller, entwarf in seiner „Roza mira“ („Die Rose der Welt“, 1958; erstmals publiziert 1991) das Bild einer allgemeinen All-Einheits-Schöpfung, die in vielerlei Hinsicht mit theosophischen Überlegungen korrespondiert.[17]

Im Kontext des russischen Symbolismus gab es schließlich auch Autoren, die mit Grundsätzen der Theosophie vertraut waren, aber von Anfang an mit ihr polemisierten, wie Dmitrij S. Merežkovskij und Zinaida Gippius.

Mancher Autor schloß sich sofort Steiners Anthroposophie an, ohne den Umweg über Blavatskajas Theosophie zu machen, wie der Dichter und Übersetzer Lev Kobylinskij-Ėllis. Es gab Theosophen, die sich selbst gelegentlich in literarischen Formen versuchten, um die Lehre zu verbreiten, wie der Übersetzer Pavel Batjuškov.

Aber unter den Symbolisten gab es auch:

„… committed Theosophists, such as Konstantin Bal'mont, Nikolaj Minskii, Max Voloshin, and Andrei Belyi …“[18]

Besonders bei den Letztgenannten war die Auseinandersetzung mit der Theosophie nachhaltig. Andrej Belyj wurde später überzeugter Anthroposoph und polemisierte von anthroposophischen Positionen aus nachhaltig mit den Vorgängern der Steinerschen Lehre. Vološin interessierte sich für beide Denksysteme und gelangte erst in der zweiten Hälfte seines Schaffensprozesses zu einem distanziert-kritischen Abstand.

Neben dem russischen Symbolismus existierte ein weiteres Prisma, das theosophische Ideen auf eigene Art und Weise brach, und zwar die Autoren der sogenannten „Unterhaltungsliteratur“. Sie waren aufgrund ihrer Massenwirksamkeit sehr wirkungsvolle Inspiratoren für die Auseinandersetzung mit der Theosophie.[19]

Dazu gehörte die Schriftstellerin Vera I. Kryžanovskaja, die derartig von der Exotic und dem Geheimnisvollen der Ideen Blavatskajas fasziniert war, daß sie mehrere Romane in diesem Kontext schrieb.

Weiter ist zu nennen Blavatskajas Schwester, die Kinderbuchautorin Vera P. Želichovskaja, die unter anderem spezielle Werke über ihre Schwester veröffentlichte.[20]

Eine besonders wichtige Rolle spielte der Romancier Vsevolod S. Solov'ev (Bruder des Philosophen Vladimir S. Solov'ev), der mit E. P. Blavatskaja persönlich bekannt war, von 1884-1886 Mitglied der „Theosophischen Gesellschaft“ wurde und 1893 eine Artikelserie unter dem Titel „Sovremennaja žrica Izidy“ („Eine moderne Priesterin der Isis“) veröffentlichte.[21]

Neben Philosophen und Dichtern inspirierte die Theosophie Blavatskajas schließlich auch die Künstlerwelt. Gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts existierte in Künstlerkreisen ein starkes Bedürfnis, Phänomene in der Malerei nachempfindbar zu machen, die sich den normalen Wahrnehmungsmöglichkeiten des menschlichen Auges entzogen. Mit Interesse wurden deshalb Theorien verfolgt, die sich auf die sogenannte vierte Dimension des Raumes bezogen, und man war bestrebt, diese in der Kunst wenigstens nacherlebbar zu machen.

Theosophische Vorstellungen vom Äther, vom Astrallicht oder von der Aura des Menschen stimulierten die Suche nach Möglichkeiten ihrer Darstellung. Dem Anspruch der Theosophie folgend, die im Menschen verborgenen, noch unsichtbaren Energien und Kräfte zu visualisieren, experimentierte man mit der Darstellung von Gedankenformen oder versuchte, selbst zur Erforschung geistiger Kräfte beizutragen, indem man Kunstwerke schuf, die in der Seele des Betrachters einen bestimmten Klang oder angenehme Schwingungen erzeugen sollten. Es werden theosophische Konzeptionen im Schaffen russischer avantgardistischer Künstler wie Vasilij V. Kandinskij, Kazimir S. Malevič, Pavel N. Filonov, Michail F. Larionov umgedeutet. Sie versuchten, auf der Grundlage theosophischer Ideen ihre eigenen Systeme weiterzuentwickeln und damit neue Konzepte in Bezug auf die Aufgaben der Kunst, den Schaffensprozeß und für die Rezeption von Kunst zu schaffen. Dabei ist allerdings anzumerken, daß sich einige von ihnen ebenfalls im Spannungsfeld von Theosophie und Anthroposophie befanden, da Rudolf Steiner im Gegensatz zu E. P. Blavatskaja eine eigene Kunsttheorie entwickelte.

Eine Sonderstellung nimmt hier Nikolaj K. Rerich ein, der sich als direkter Schüler und Nachfolger E. P. Blavatskajas sah. Er folgte ihr nicht nur geistig, sondern „wandelte“ auch praktisch auf ihren Spuren, indem er den Osten, vor allem Tibet, bereiste, auf der Suche nach dem sagenhaften Schambala und den dort angeblich ansässigen Mahatmas. Die theosophische Lehre visualisierte er nicht nur in seinen Bildern, sondern in Gedichten, literatur- und kunstkritischen Aufsätzen und philosophischen Essays. Dabei wurde er unterstützt durch seine Frau Elena I. Rerich, die ebenfalls Blavatskajas Lehre für ihre eigenen Schriften zum Vorbild nahm.

Um das Bild abzurunden, sei noch erwähnt, daß sowohl der Schauspieler Michail A. Čechov, als auch der Komponist Alexander Skrjabin eine theosophische Phase im Leben durchliefen.

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[1]  Besonders zu empfehlen sind dabei die Untersuchungen von G. Lehmann-Carli.
Vgl. u. a.: Lehmann-Carli, G.: Aufklärungsrezeption, 'prosveščenie' und Europäisierung: Die Spezifik der Aufklärung in Rußland. In: Zeitschrift für Slawistik 39 (1994) 3, S. 358-382; Lehmann-Carli, G.: Der russisch-westliche Streit um das 'alte' und das 'neue' Rußland. Historiographie, Geschichtsverständnis, Kulturkonzepte und Aufklärung (1700-1825). In: Forschungszentrum Europäische Aufklärung Potsdam. Tätigkeitsbericht 1997, S. 30-33; Lehmann-Carli, G.: Freimaurerei in russischer Rezeption und Adaption als kulturelle Übersetzung. In: Kultur als Übersetzung. Klaus Städtke zum 65. Geburtstag. Würzburg 1999, S. 47-58; Lehmann-Carli, G.; Schippan, M.; Scholz, B.: Russische Aufklärungs-Rezeption im Kontext offizieller Bildungskonzepte (1700-1825). Berlin 2000.

[2]  Lehmann-Carli, G.: Freimaurerei in russischer Rezeption und Adaption als kulturelle Übersetzung. In: Kultur als Übersetzung. Klaus Städtke zum 65. Geburtstag. Würzburg 1999, S. 50.

[3]  Vgl. z. B.: Rosen, N.: The Magic Cards in the "Queen of Spades". In: The Slavic and East European Journal 19 (1975), S. 255-275; Leighton, L. G.: The Esoteric Tradition in Russian Romantic Literature. Decembrism and Freemasonry. Pennsylvania 1994; Wolf, M.: Freimaurertum bei Puškin. Einführung in die russische Freimaurerei und ihre Bedeutung für Puškins literarisches Werk. München 1998; Bašilov, B.: Puškin i masonstvo. Buenos Aires o. J.

[4]  Der Terminus "Intelligencija" wurde das erste Mal vom russischen Schriftsteller P. D. Boborykin (1836-1921) in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts in die Diskussion gebracht. Man verband hier bald neben der Kennzeichnung einer bestimmten Gesellschaftsschicht Vorstellungen von einem "moralischen Gewissen" der Gesellschaft. Er wurde später in Rußland und vor allem zu Sowjetzeiten für die geistig Arbeitenden benutzt (im Gegensatz zu den körperlich Arbeitenden). Später wurde der Ausdruck auch in andere Sprachen übernommen (DDR-Deutsch: Intelligenz). Ich behalte hier die russische Bezeichnung bei.
Vgl. dazu auch u. a.: Scherrer, J.: Die Petersburger religiös-philosophischen Vereinigungen. Berlin 1973; Scherrer, J.: Russkaja emigracija do 1917 goda – laboratorija liberal'noj revoljucionnoj mysli. SPb. 1997; Scherrer, J.: Requiem für den Roten Oktober: Rußlands Intelligencija im Umbruch 1986-1996. Leipzig 1996; Lichačev, D. S.: Rußland: Seele, Kultur, Geschichte. Augsburg 1994; Lichačev, D. S.: The national nature of Russian History. New York 1990.

[5]  Carlson, M.: 'No Religion higher than Truth': a History of the Theosophical Movement in Russia, 1875-1922. Princeton, New Jersey 1993, S. 5. Dt. Übers.: „...die beiden wichtigsten Bewegungen im Rußland der Jahrhundertwende waren Theosophie und Spiritualismus. Sie hatten die größte Anhängerschaft und dominierten die Journale und Publikationen.

[6]  Zur Biographie E. P. Blavatskajas siehe näheres unter 1.4.1.

[7]  Löwith, K.: Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Stuttgart 1983.

[8]  Vgl.: E. P. Blavatskaja: Brevno i sučok. In: Skrižali karmy. Moskva 1995, S. 256-270; dies.: Progress i kul'tura. In: Ebenda, S. 271-286.

[9]  Vgl.: Solov'ev, V. S.: Blavatskaja, Elena Petrovna. In: S. A. Vengerov: Kritiko-biografičeskij slovar'. Vol. 2. St. Peterburg 1892, S. 315-319; ders.: Recenzija na knigu E. P. Blavatskoj "The Key to Theosophy". In: Russkoe Obozrenie (1890).

[10]  Siehe unter der Überschrift: Neo-Buddhism. In: Blavatsky, H. P.: Collected Writings. Vol. XII, 1889-1890. Wheaton, Madras, London 1980, S. 334ff.

[11]  Siehe dazu: Seidel-Dreffke, B.: Blick nach Osten - Wohl oder Wehe? V. S. Solov'evs Auseinandersetzung mit E. P. Blavatskaja. In: Russkie pisatel'nicy i literaturnyj process v konce XVIII - pervoj treti XX v. (Hrsg.: M.-Š. Fajnštejn und F. Göpfert), Wilhelmshorst 1995, S. 127-142.
Vgl auch: Müller, L.: Wladimir Solowjow. Gedenken zur hundertsten Wiederkehr seines Todestages. In: Südwestfunk. Manuskript zur Sendung vom 24.07.2000; Solowjew, W. S.: Eine kurze Erzählung vom Antichrist. (Übers. und erläutert von L. Müller), München 1990.
Genaueres zu Bezügen auf E. P. Blavatskaja in Solov'evs "Povest' ob Antichriste" siehe unter 2.4.4.2.

[12]  Gurdžiev, G. I. (1873-1949) - schuf ein eigenes mystisch-okkultes Denkmodell, als dessen Quellen indische Philosophie, ägyptische Überlieferungen und persisches Denken fungierten. Er hatte in Rußland eine verhältnismäßig große Zahl von Anhängern.

[13]  Langer, G.: Kunst - Wissenschaft - Utopie: Die "Überwindung der Kulturkrise" bei V. Ivanov, A. Blok, A. Belyj und V. Chlebnikov. Frankfurt a. M.: 1990, S. 25.

[14]  Carlson, M.: 'No Religion higher than Truth': a History of the Theosophical Movement in Russia, 1875-1922. A. a. O., S. 9-10. Dt. Übers.: „Heutzutage wissen viele Wissenschaftler überhaupt nicht, bis zu welchem Grad theosophisches Vokabular und Bildlichkeit ihre sachlichen Spuren in der Literatur des Silbernen Zeitalters hinterlassen haben: der häufige bzw. übermäßige Gebrauch von Adjektiven wie ‚hell‘, ‚still‘, ‚klar‘, ‚spirituell‘ ..., das Harmoniestreben; das Konzept von der Theurgie; die Vorstellung von Ewigkeit und dem Ruf; die Idee der Korrespondenzen; die zentrale Figur des Dreiecks; die Bilder von der Spinne und dem Netz (Maja, die illusionäre Welt); der Zirkel, das Rad und die Spirale (der Reinkarnation); der Eingeweihte und die Einweihung; die Vorstellung vom Weg; der Abgrund; der Kampf von Licht und Finsternis; die Vorstellung vom Meister und der Bruderschaft; die geheime Gesellschaft; die Farbe weiß und das Metall Silber, exotisches östliches Vokabular; und die Analogie – dies alles sind Bestandteile der Theosophie, die in den künst­ler­ischen Diskurs eingedrungen sind und bisher größtenteils unbeachtet blieben. Das Bewußtmachen dieses okkulten Subtextes auf der bildlichen und semantischen Ebene eröffnet neue Perspektiven, die zu neuen Interpretationsmöglichkeiten führen können.

[15]  Bogomolov, N. A.: Iz predistorii "Liry Novalisa" Vjač. Ivanova. In: ders.: Russkaja literatura načala XX veka i okkul'tizm. Issledovanija i materialy. Moskva 1999, S. 203-210; ders.: Vjačeslav Ivanov i Kuzmin: K istorii otnošenij. In: Ebenda, S. 211-224.

[16]  Vgl.: Bogomolov, N. A.: Tetuška iskusstv. Okkul'tnye kody v poėzii Kuzmina. In: ders.: Russkaja literatura načala XX veka i okkul'tizm. Issledovanija i materialy. Moskva 1999, S. 145-186.

[17]  In Deutschland hat sich inzwischen eine Andreev-Gruppe unter der Bezeichnung "Blume der Welt" gebildet, deren Ziele vielfach mit denen der "Theosophischen Gesellschaft" übereinstimmen. Die Leitung hat der Komponist A. Sojnikov inne. Im März 2000 wurde die erste Andreev-Tagung in Deutschland durchgeführt. Zunehmend interessiert man sich auch für die okkulten Wurzeln seines Schaffens. Die in Kürze erscheinende Dissertation Lena Müllers wird u. a. auch Beziehungen Andreevs zur Theosophie Blavatskajas darstellen.

[18]  Carlson, M.: 'No Religion higher than Truth': a History of the Theosophical Movement in Russia. A. a. O., S. 159. Dt. Übers.: „... überzeugte Theosophen wie Konstantin Bal'mont, Nikolaj Minskij, Maks Vološin und Andrej Belyj ...

[19]  Genaueres zur Rezeption und Wirkung der Werke V. I. Kryžanovskajas - siehe Kapitel 4.

[20]  Vgl. zum Beispiel folgende Neuauflagen der Werke Želichovskajas:
Želichovskaja, V. P.: Radda-Baj. Pravda o Blavatskoj. M. 1992; dies.: Videnie v kristalle. Rasskaz. In: Čudo roždestvenskoj noči. SPb. 1994.

[21]  Genaueres zu den Beziehungen Vs. S. Solov'evs zur Theosophie - siehe Kapitel 5.